Drei Bücher gegen digitale Euophrie

Über all dem Gejubel hinsichtlich der neuen Möglichkeiten immerwährender Konnektivität und ununterbrochener Kommunikation von morgens bis abends – typischer PR-Sprech: „jederzeit und überall“ – gerät es manchmal aus dem Blick, dass diese Entwicklung nicht nur positive Seiten hat. Und es ist manchmal wichtig, sich das auch ins Bewusstsein zu rufen, selbst wenn das nicht unbedingt den Beifall der entsprechenden Branchen finden wird.
Ich habe mir drei Autoren für viele herausgepickt, deren Bücher ich mir etwas näher angesehen habe: Nicholas Carr, Sherry Turkle und den besonders hierzulande heftig und kontrovers diskutierten Manfred Spitzer.
Alle drei beschäftigen sich mit der Auswirkung unserer Permanent-Verdrahtung auf Seele und Gehirn. Dabei geht Carr historisch vor: Er zeichnet die Geschichte der Menschheit an ihren Kommunikationsmedien nach und fragt, wie diese wohl unsere Gehirnstruktur, Wahrnehmung, Denkfähigkeit und -weise beeinflusst haben mögen. Besonders ausführlich beschäftigt sich Carr naturgemäß mit dem Übergang, den wir gerade erleben: Vom Papier- und Lese-Zeitalter zum Klick-und-weg-Zeitalter. Das Buch liest sich sehr spannend. Carrs Schluss: Digitale Medien machen zwar nicht dumm, führen aber anscheinend schon dazu, dass das Denken überflächlicher wird, dass man sich nichts mehr merkt, weil man auf die Allgegenwart des Netzes hofft, wenn man etwas nicht weiß, und dass der digitale Diskurs – so oberflächlich er auch immer sei – die Überhand über eine profunde Analyse im stillen Kämmerlein gewinnt. Bild statt (geschriebene) Sprache könnte auch unreflektierter Emotionalität auf Kosten des wohlerwogenen Handelns zu mehr Gewicht verhelfen. Man muss Carrs gut dokumentierte Schlussfolgerungen nicht teilen, aber sich mit diesem Buch auseinanderzusetzen, lohnt auf jeden Fall.
Etwas Geduld braucht man, wenn man die sozialpsychologischen Beobachtungen von Sherry Turkle bis zum Ende verfolgen will. Turkle hat sich mit den Veränderungen in Kommunikation und mitmenschlichem Umgang durch den Einsatz von Robotern, Online-Spielen und Smartphones angesehen. Während sie bei den Robotern auf Erkundung in Altenheime in Japan, in amerikanische Forschungslabors und ähnliche Orte geht, um die Interaktion von Menschen und Maschinen sowie ihre Auswirkungen genauestens zu studieren, befragte sie für die Themen Online-Spiele und Smartphones jüngere Leute, die mit diesen Kommunikationsmaschinen aufgewachsen sind. Dabei stellen sich während des Lesens sehr zwiespältige Gefühle ein: Der Roboter ist, so sagen es viele von denen, die, beispielseise in Altenheimen, mit solchen Geräten kommunizieren, „besser als nichts“, aber nie besser als ein Mensch. Online-Spiele müssen nicht vereinsamen, scheinen aber die Kommunikation auf die Maschine und das, was mit oder in ihr passiert zu fokussieren. Besonders interssant ist, was Turkle bei der Analyse des Kommunikationsverhaltens Smartphone-gewohnter junger Menschen findet. Sie konstatiert, dass diese nicht (wie unsereiner mit Mitte 50 selbstverständlich annimmt) verstärkt nach Autonomie, Abtrennung von den Eltern etc mehr streben respektive gar nicht mehr streben können. Statt dessen wird – entweder von den Eltern selbst oder von den Sprösslingen – permanent mit zu Hause gesimst, geskyped und so weiter. Die digitale Nabelschnur bleibt permanent erhalten. Das Gleiche gilt für das Verhalten der Jugendlichen untereinander. Sie sind gewissermaßen ständig unter der digitalen Aufsicht ihrer Clique, und Nicht-Kommunikation ist schon beinahe nicht möglich. Ehrlich gesagt, das würde mir am meisten auf den Senkel fallen. Ob das nun gut oder schlecht ist, wird sich zeigen, wenn die junge Generation erwachsen ist.
Spitzer, der in Deutschland umstrittenste Autor von den dreien, beschäftigt sich damit, was die Sozialisation vor Bildschirmen aller art mit dem menschlichen Gehirn macht, und seine Schlüsse sind nicht gerade ermutigend. Bestimmte Formen des Begreifens, beispielsweise die dreidimensionale Wahrnehmung, die richtige Zuordnung von Kausalitäten und auch soziale Interaktion lassen sich, so Spitzer, nur im Umgang mit Menschen, nicht in dem mit Bildschirmen erlernen. Auch für das Lernen von Schulwissen (Sprachen, Mathe, Naturwissenschaften etc) bringe der Umgang mit dem Computer nichts. Vielmehr diene die flächendeckende Ausrüstung von Schulen mit Rechnern vor allen Dingen dem Verdienst der Hersteller und der frühzeitigen zurichtung junger Menschen für die Wirtschaft – der Schuss gehe aber nach hinten los, da das selbständige Reflektieren nicht mehr wirklich erlernt werde. Kritiker werfen Spitzner Überspitzung, einseitige Perspektive, das Ausblenden wichtiger, seiner Perspektive widersprechender Forschungsergebnisse und Ähnliches vor. Man mag denken wie man will, er ist jedenfalls der Einzige, der deutlich darauf hinweist, dass es auch lohnt, zu betrachten, wer Studien finanziert und wer von den Ergebnissen profitiert, mag er nun in seinen Thesen insgesamt Recht haben oder nicht. lesenswert sind alle drei Bücher auf jeden Fall, denn die digitale Euphorie wird darin einmal gründlich gegen den Strich gebürstet, und das tut dem Hirn immer gut.
Manfred Spitzer: Digitale Demenz. Droemer/Knaur, München 2012, 368 Seiten, gebunden, einige s/w-Abbildungen,ISBN-10:3-426-27603-8, 19,90 Euro
Nicholas Carr: Wer bin ich, wenn ich online bin, und was tut mein Gehirn so lange? Karl Blessing Verlag München 2010, gebunden, 383 Seiten, ISBN-10:3-89667-428-5, 19,95 Euro.
Sherry Turkle: Verloren unter 100 Freunden. Wie wir in der digitalen Welt seelisch verkümmern. Riemann-Verlag München 2012, gebunden, 576 Seiten, 19,99 Euro.

Interview: Wer ist Greenit.fr/Who is greenit.fr?

Frédéric Bordage ist Gründer und Betreiber des Blogs greenit.fr. nachhaltige it finterviewte ihn per E-Mail zu Inhalten, Konzept und weiterer Entwicklung der Plattform. Greenti.fr erscheint jetzt unter „Green-IT-Blogs“ auf den Linklisten von nachhaltige-it .
Frédéric Bordage founded and runs the blog greenit.fr. nachhaltige it interviewed him by e-mail concerning contents, concept and further development of the platform. Greenit.fr will be integrated into the linklist „Green-IT-Blogs“ on nachhaltige-it.

nachhaltige-it: Seit wann gibt es greenit.fr?
nachhaltige-it Since when does greenit.fr exist?

Bordage: Wir haben Greenit.fr Anfang 2004 online gestellt. Damals redete niemand über Green IT und wir fühlten uns damit ziemlich allein. 2008 wurde das Thema plötzlich allgemein diskutiert, eine hoffnungsvolle Tatsache. Heute haben rund 220000 Unique Visitors pro Jahr, die unsere Geschichten und Studien lesen. Rund 18000 kommen mindestens dreimal monatlich.

Bordage: We launched GreenIT.fr in the early days of 2004. At that time, nobody was talking about Green IT and we felt a bit like lonesome „greeniters“. Hopefully, in 2008 this subject became mainstream. Today around 220,000 unique visitors per year read our stories and studies.
Around 18,000 come back to read us at least 3 times a month.

nachhaltige-it: Wer betreibt den Blog und wer trägt inhaltlich dazu bei?
nachhaltige-it: Who owns the blog and who contributes to it?

Bordage: Ich habe die Plattform gegründet. Bisher haben 45 Menschen ein oder mehrere Geschichten geschrieben. Bordage: Informationen über das Team stehen hier.
I’m the founder of GreenIT.fr. 45 people have written one ore more stories. You may have a look at this page to discover the team.

nachhaltige-it: Was war die Motivation, den Blog zu gründen?
nachhaltige-it: What motivated You to establish the blog?

Bordage: Wir wollten zeigen, dass Green IT und nachhaltige ICT nicht einfach eine „gute Idee“ sind, sondern dass es wirkliche Nachfrage gibt. Von Anfang an habe ich auf dem Blog versucht, Sachen zu publizieren, die wirklich wichtig sind: Fallberichte aus Unternehmen, Informationen über Soft- und Hardware, die Unternehmen helfen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern und gleichzeitig Geld zu sparen etc.
Bordage: To demonstrate that Green IT and Sustainable ICT are not just a „good idea“, but that there are real request from companies. From the early days of GreenIT.fr, I tried to publish real stuff: business case studies, info about software and hardware that help companies cut their ecological footprint while saving money, etc.

nachhaltige-it: Wie wird er finanziert?
nachhaltige-it: Who finances the blog?

Bordage: Wir finanzieren uns komplett selbst. Unser Partner Breek.fr hat die Seite entwickelt und seit 2004 kostenlos gehostet. 2013 müssen wir irgendwie 10000 Euro auftreiben, um auf eine moderne Version von Drupal zu migrieren. Dafür haben wir noch keine Lösung, denn wir möchten weiter komplett unabhängig bleiben.
Bordage: GreenIT.fr is fully self-supported. Our partner Breek.fr developed and host GreenIT.fr for free since 2004. In 2013, will have to find
10,000 euros to migrate in a more modern version of Drupal. A this time we don’t have any other solution because we’d like to stay 100% independent.

nachhaltige-it: Was sind seine wichtigsten Ziele?
nachhaltige-it: What are the blog´s most important goals?

Bordage: Wir veröffentlichen Neuigkeiten aud der Green IT und über grüne IT-Anwendungen – von Job-Anzeigen bis zu neuen Lösungen, Zahlen und Studien. Viele unserer mehr als 2000 Geschichten dokumentieren aus erster Hand Forschung und andere Inhalte. wir waren die weltweit ersten, die ausgerechnet und gezeigt haben, dass man 71mal mehr Energie braucht, wenn man denselben Text oder dieselbe Mail mit Win7 und Office10 schreibt als mit Win98 und Office97. Wir haben Dutzende solcher Zahlen veräffentlicht. Ein aktueller Fokus ist das ökologische Softwaredesign.
Bordage: We publish news on Green IT and IT for Green, from Job offers to best practices to new solutions, figures and studies. A good portion of our 2000+ stories published yet are original ones. I mean that we publish original research and content.
We were the first in the world to calculate and demonstrate that it takes you 71 times more memory between Win98+Office97 vs.
Win7+Office2010 to write the same e-mail or text in a word processing tool. We published dozens of figures of that kind. More recently we became to focus on software eco-design.

nachhaltige-it: Welche Themen spielen eine besonders wichtige Rolle?
nachhaltige-it: What are Your the most important topics?

Bordage: Wir schreiben zu 20 % über nachhaltige Informations- und Kommunikationstechnik – also Smart Everything: Stromnetze, Smart Meter und so weiter. Zu 80 Prozent geht es um ökologisches Softwaredesign, Elektroschrott, Energieeffizienz in Datenzentren, gezielt verkürzte Produktlebensdauer (Obsoleszenz) von IKT-Produkten, energetischer Fußabdruck von Produkten und Treibhausgasemissionen, Wiederverwertung ganzer Produkte und Recycling, Energieeinsparungen und so weiter, dazu kommen neue Hard- und Softwareprodukte, Jobangebote, Trainingsankündigungen und Berichte über Praxiserfahrungen.
Bordage: 20 % sustainable ICT / IT for Green : smart everything (grids, meter,
etc.) and 80 % Green IT : software eco-design, e-waste, data centre energy efficiency, planed obsolescence, embodied energy & GHG emissions, refurbishment & recycling, energy savings, etc. all that from new products / software, job, events, training, and best practices perspectives.

nachhaltige-it: Soll der Blog inhaltlich weiterentwickelt werden, und wenn ja, wie?
nachhaltige-it: How do You want to further develop the blog?

Bordage: Derzeit nicht, außer der geplanten technischen Migration. Das ist eigentlich schade, denn wir stehen wegen Kooperationen in Kontakt mit britischen und spanischen Blogbetreibern. Aber vor dem zweiten Quartal 2013 wird das nichts.
Bordage: Not in the near future, except a technical migration. That’s a pity because we are in contact with British and Spanish blog owners who want us to federate the audience. But we don’t have enough time before Q2 2013.

Schuss vor den Bug vor Big-Data-Fetischisten

Wer meint, in Zukunft alles und jedes beliebig auswerten zu können, um anschließend die Menschheit beispielsweise noch mehr als bisher mit Werbung überschütten zu können oder das persönliche Verhalten bis in die Haarwurzeln des Einzelnen vorauszusagen, um damit schlicht mehr Geld zu verdienen, hat zumindest hierzulande jetzt einen fetten Schuss vor den Bug bekommen. Wer sich für die Details interessiert, klicke hier und lese, was unser Bundesdatenschutzbeauftragter Dr. Peter Schaar zu diesem Thema zu sagen hat. Merke: Zur Ökologie in der IT gehört auch die „Ökologie des Geistes“!

Borderstep: Träge Kunden und desinteressierte Anbieter bremsen Green IT

Warum verbreiten sich Thin Clients oder Mini-PCs so langsam, obwohl sie eigentlich energetisch viel günstiger wären? Das ist eine der Fragen, mit der sich ein mehrjähriges Forschungsprojekt des Borderstep Institute beschäftigte. Ergebnis: Weil Anwender am liebsten das tun, was sie schon immer getan haben, und sei es aus Angst vor fehlender Kompatibilität (das nennt man „Pfadabhängigkeit“) und Anbieter daran mehr verdienen als sie an den neuen Spar-Technologien (das nennt man „einen Markt ausschöpfen“) gibt es auf deutschen Schreibtischen noch immer viel zu viele energiefressende Geräte. Wer sein Verhalten ändern muss (wie beim Einsatz von Thin Clients), der wartet damit so lang wie möglich. Dazu kommt, wie Prof. Klaus Fichter zur Erläuterung der Forschungsergebnisse ausdrücklich schreibt, „die ambivalente Haltung der Marktführer und Wirtschaftsverbände“. Cloud und Thin Clients werden sich aber am Ende dann doch durchsetzen, meint Fichter.
Beim Mini-PC, einer anderen „grünen“ Innovation, sieht er das Problem darin, dass der Markt hauptsächlich von kleinen Anbietern entwickelt wird. Gründe siehe oben unter „Trägheit“, „Ambivalenz“ und „Marktausschöpfung“. Im Laden gibt es die Dinger bisher kaum, weil die Handelsstrukturen nun mal auf die großen Hersteller ausgerichtet sind. Wer einen Mini-PC will (wahrscheinlich für so manchen engen Schreibtisch eine super Lösung), muss online schauen – zum Beispiel auf die Online-Seite von ComputerBild, wo es eine Marktübersicht der kleinen Dinger gibt. Aber mit der Verbreitung von Cloud Computing werde sich das ändern, meint Fichter: Wenn Software weitgehend in der Cloud läuft, ist ein Bolide auf dem Schreibtisch (hoffentlich) nicht mehr so wichtig.

Online-Uni zum Klimawandel: Jetzt noch registrieren

Wer an der jährlichen Online-Universität zum Klimawandel (deutsche Seite) des Forschungs- und Transferzentrum „Applications of Life Sciences“ (FTZ-ALS) der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) teilnehmen möchte, kann dies nun tun. Die Akademie, an der wieder zahlreiche internationale Experten virtuell partizipieren, läuft noch bis zum Freitag. Angesprochen sind Forscher, Unternehmen, Behörden, NGOs und die interessierte Öffentlichkeit. Die Registrierung ist kostenlos. Das Thema diesmal: Klimawandel, Inselstaaten und nachhaltige Technologien. Aktueller geht es angesichts der Verwüstungen, die Sandy auf haiti angerichtet hat, wohl kaum noch. Meine eigene Erfahrung: Anmelden lohnt sich!

Summary: Participate in the Online-University about Climate Change, a yearly event of the des Science and transfer center „Applications of Life Sciences“ (FTZ-ALS) at the College for Applied Science Hamburg (HAW Hamburg)! The academy lasts until Friday and happens only in the internet with the participation of lots of international experts. It directs itself to scientists, companies, administration, NGOs and the interested public. Registration is free. Topic 2012: Climate change, island states and sustainable technologies.