Über KI und Klimawandel

Was haben KI und Klimawandel miteinander zu tun?
Ein schönes Sommerthema: Draußen sind 36 Grad Celsius, die Isar hat die Temperatur eines gut geheizten Freibades, am Himmel stehen ein paar halbherzige Gewitterwolken, und der Klimaforscher Latif hat verkündet, dass es in Europa seit Beginn der Klimaaufzeichnungen um 1,4 Grad im europaweiten Durchschnitt wärmer geworden ist (zur Erklärung: Der Anstieg von großflächigen Durchschnittstemperaturen in solchen Zeiträumen ist eine Masse, auch wenn es wenig klingt) . Die Ernten in Deutschland sind hitzebedingt teilweise um ein Drittel gesunken, das wird die Preise für Grundnahrungsmittel nach oben treiben, und das freut dann wieder die, die sowieso kein Geld haben. Arbeitslose, Rentner, Alleinerziehende.
Zurück zur KI. Die Medien sind voll damit, und irgendwie ist es viel sexier, sich damit zu befassen, ob uns die Algorithmen fressen, als damit, ob wir in Zukunft noch was zu Fressen haben. Im Herbst gibt es eine vom Bundestag organisierte eine Enquete zum Thema KI, und ich habe mir vorgenommen, genau zuzuhören. Wahrscheinlich wird sie, genau wie die Klimawandel/Nachhaltigkeits-Enquete vor ein paar Jahren, komplett im Web übertragen wird.
Interessant ist die Frage, ob die KI-Enquete letzten Endes genauso wirkungslos verpuffen wird wie die Klimawandel-Enquete. Zwar warnten dort ausgewiesene Spezialisten aller möglicher Couleur davor, die Sache zu verbaseln und zu lange mit durchgreifenden Maßnahmen zu warten. Dann kamen die Flüchtlinge, und das Thema war oder ist vergessen. Unser Kohlendioxid-Ausstoß steigt wieder, und ein Top-Thema ist zur Zeit, wie man die Flüchtlinge aus den Krisengebieten im Nahen Osten und aus Afrika fernhält oder wieder wegbekommt. Oder wie man die, die das wollen, davon überzeugt, dass das inhuman ist und außerdem gar nicht nötig, oder jedenfalls nicht so, wie es die Rechten wollen.

Es geht eindeutig nicht darum, wie man den Kohlendioxidausstoss (unseren) schnellstmöglich runterbekommt. Dabei wäre das sicher angesichts der im wahrsten Sinne des Wortes Verwüstung in vielen Gegenden eine sehr wichtige Maßnahme, um afrikanischen Ländern Spielraum zur Entwicklung zu geben, damit die Leute dort überhaupt bleiben können. Und wer nicht bleiben kann, geht. Da werden auch die höchsten Zäune der Welt nichts dran ändern.

Ach so, übrigens macht der Klimawandel nicht an der Schengen-Grenze halt. Er verwüstet auch in Spanien zusehends den Süden. Was werden wir wohl sagen, wenn spanische Klimaflüchtlinge vor unseren Haustüren stehen? Sie werden sich natürlich nicht so nennen, sondern einfach sagen, sie machten von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch. Die es in Europa noch gibt, man fragt sich, wie lange.
Was die Wirksamkeit der KI-Enquete angeht, denke ich, die Chancen, dass sie etwas verändert, stehen etwas besser als bei der Klima-Enquete, die wohl vor allem ein Beruhigungsmittel war, denn es fühlt sich viel besser an, viele Stunden über ein Problem zu reden und dann nichts zu tun, als einfach nur so nichts zu tun.
Doch was sie (die KI-Enquete) verändern wird, das steht in den Sternen. Immerhin verspricht KI, wenn richtig gestaltet, möglicherweise irgendwelche wirtschaftlichen Gewinne für irgendwen. Wobei irgendwer derzeit vor allem mit F, M, A und G anfängt. Das Rätsel wird nicht aufgelöst. Man muss sie, die KI, also nur so regulieren, so jedenfalls die Theorie, dass alle freiwillig und gern ihre Daten hergeben. Und darum wird es wohl in der Enquete gehen, aber das ist derzeit natürlich nur eine Vermutung.
Während klimabewusstes Verhalten, seriös betrachtet, wohl letzten Endes hierzulande doch eher darauf hinausläuft, von vielem ein bisschen oder sogar ziemlich viel weniger zu machen. Vor allem von dem, was wir heute so richtig geil finden: Konsumieren, was das Zeug hält, in der Gegend rumfliegen, bis wir die Flughäfen kaum noch auseinanderhalten können, und unsere IT-Geräte alle kurze Zeit erneuern. Damit, das zu lassen, lässt sich eher kein Geld verdienen, oder jedenfalls nur in Maßen, und das next big dig Ding (das nächste größte digitale Ding) kommt so auch nicht in die Welt.
Dafür steigt die Chance, dass noch ein paar mehr Generationen hier einigermaßen existieren können, aber wen interessiert das schon, die meisten sind ja schon froh, wenn sie die nächste Woche geplant kriegen.
Kurz, man kann der KI-Enquete hoffnungsvoll entgegensehen, jedenfalls hoffnungsvoller als der Klima-Enquete. Genau wie dem nächsten Sommer, der wahrscheinlich noch heißer wird als dieser schon.

Social Media: Kannste knicken

Mit einem kleinen Büchlein hat ein profilierter Kritier des derzeitigen Digital(un)wesens, Jaron Lanier, dargelegt, warum er, um in seinem Jargon zu bleiben, die derzeitigen Sozialen Medien Scheiße findet. In seiner Schärfe kann man seine Kritik allenfalls mit der von Spitzner („Digitale Demenz“) oder der von Evgeni Morozov („Smarte Neue Welt“) stellen. Allerdings, und das gibt der Sache mehr Relevanz: Lanier guckt von innen. Er ist selbst einer der Pioniere der VR (Virtual Reality) und ist nach Jahren bei einer der Digitalkraken Nummer 1, Google, nunmehr zu Microsoft umgesattelt.
Und das ist vielleicht eine Schwäche seiner Argumentation, die sich vor allem gegen Google und Facebook als Monopolisten des Sozialen im Web richtet. Denn AWS, Microsoft und Apple reiht er in eine andere Liga ein – weil sie auch noch mit anderem ihre Geschäfte fundieren als mit den Daten ihrer Nutzer (AWS verkauft Bücher, Rechenleistung und bald alles, Microsoft versorgt Büros mit nützlichen oder weniger nätzlichen Softwaretools und Apple hat todschicke Rechner und Smartphones im Angebot, die man tatsächlich kaufen kann – doch dazu später).
Laniers Fundamentalkritik entzündet sich am Kern der Imperien von Google und Fachebook: daran, dass sie mit Algorithmen, die durch ihr gerade im richtigen Maße erratisches Verhalten das Dopaminsystem des Menschen triggern, ihre Nutzer damit zu Abhängigen machen. In diesem Zustand nun spuckt ein Nutzer durch seine permanenten Interaktionen mit den Plattformen Daten in beliebiger Menge aus, die sich wiederum in kommerziellen Erfolg der Plattformen umsetzen lassen, indem fein abgestimmte, oft banal anmutende, aber nachweislich wirksame Kaufanreize präsentiert werden oder indem man die Daten einfach meistbietend zur tiefergehenden Analyse an den verkauft, der gerade daran interessiert ist. Cambridge Analytika lässt grüßen.
So verlieren laut Lanier die Einzelnen die Kontrolle über die Informationen, da sie nur noch gezeigt bekommen, was sie nach Meinung der Plattform interessieren müsste. Ganze Gesellschaften unterliegen erheblichen Manipulationsrisiken durch diejenigen, die die Mechanismen der digitalen Werkzeuge am besten durchschauen und ihre Mittel am skrupellosesten einsetzen. Der Brexit lässt grüßen.
Lanier meint, des Pudels Kern liege darin, dass Soziale Medien im Interesse ihrer Inserenten arbeiten und nicht vor allem im Interesse ihrer Nutzer. Das ließe sich, so glaubt er letztlich, aushebeln, indem man sie komplett neu konzipiert und zum Beispiel für die Nutzer kostenpflichtig macht, weil dann die Plattformen in deren Dienst arbeiten würden. Vorerst rät er Anwendern, ihre Social-Media-Accounts samt und sonders zu kündigen und damit eine unmissverständliche Botschaft an die Sozialkraken überm Teich zu senden: So nicht. Gleichzeitig ist er aber klarsichtig genug zu erkennen, dass das für viele gar nicht möglich ist. Und dies nicht nur, weil der Arbeitgeber gern möchte, dass sein Mitarbeiter oder seine Mitarbeiterin im Web präsent ist. Sondern weil beispielsweise jedes Android-Handy einen zum Mitglied des Google-Stammes und jedes iPhone zu einem des Apple-Tribe macht. Tertium non datur, wie die Lateinerin sagt: Ein Drittes gibt es nicht, schade, Microsoft, dass Du die Alternative, die Dein Mobile immerhin darstellte, vom Markt genommen hast. Selbst, wenn es nicht so viele Apps dafür gab. Und das auch nur wieder wegen des schnöden Geldes.
Was ich an dem Buch besonders gut fand, ist, dass Lanier mit knappen Worten den KI-Mythos entlarvt. Ein Zitat: „Es ist völlig normal, einem Manager… dabei zuzuhören, wie er sich über die Möglichkeiten der kommenden Singularität auslässt, in der die KIs die Herrschaft übernehmen. … Das ist Schwachsinn. Wir vergessen dabei, dass KI eine Geschichte ist, die wir Kybernetiker vor langer Zeit erfunden haben, um an Forschungsgelder zu kommen… Damals war es eine Notlüge, aber inzwischen hat die KI sich selbständig gemacht und ihre Erfinder überholt. KI ist nur eine Phantasie, ein Märchen, das wir über unsere Programme erzählen.“ So isses, und viel mehr gibt es auch dazu nicht zu sagen. Zudem entwerteten KI-Verfechter menschliche Arbeit, sagt Lanier, indem sie menschliche geistige Leistung in Algorithmen eingeben und dann behaupten, der Algorithmus habe die intellektuellen Leistungen, die er abbildet, quasi selbst erarbeitet. Sein Beispiel sind Übersetzungsalgorithmen. Sie werden zwar immer beser – aber nur deshalb, weil sie täglich von den unzähligen Übersetzungen lernen, die menschliche Übersetzer leisten. Gerade da macht Microsoft übrigens leider überhaupt keine Ausnahme, Herr Lanier. Seine für Office 365 gelieferten Algorithmen zum Übersetzen dürften schon sehr bald die überwiegende Menge der Brot-und-Butter-Übersetzer, die ihr Geld mit im Wirtschaftsleben nützlichen Übersetzungsarbeiten verdienen, komplett arbeitslos machen.
Allerdings finde ich, dass Laniers Kritik auch anderswo zu kurz greift. Denn die Maßlosigkeit der Digitalgiganten ist eigentlich durch etwas anderes bestimmt als durch die Algorithmen: Durch die Idee, dass Größe und Gewinn mehr oder weniger der einzige Maßstab des Unternehmenserfolgs sind, dass Regulierung bäh ist, der Staat sich möglichst aus allem herauszuhalten habe, weil die Wirtschaft das dann schon selbst regelt und überhaupt das ganze neuliberale Blabla, mit dem wir in den vergangenen Jahrzehnten vom anderen Ufer des Teiches aus überschüttet wurden und das leider auch hier Früchte getragen hat. Erinnert sei an die oberpeinliche Werbekampagne eines Bankunternehmens, in dessen Zentrum schlicht das Wörtchen „ich“ stand (und das war keine Ausnahme).
Und auch Firmen wie Netflix (von Lanier als gutes Beispiel bezeichnet) schustern ihre Serien mit analytischen Mitteln zusammen – Ziel ist einzig, Anwender so lange wie möglich an der Glotze bzw. dem Bildschirm zu halten. Und Amazon hat sich schlicht vorgenommen, den Einzelhandel der Welt zu monopolisieren und gleichzeitig deren Ressourcen möglichst schnell zu verbrauchen, indem man nicht Verkauftes schlicht wegschmeißt, weil man sonst Umsatzsteuer dafür bezahlen müsste. Die pleitegegangenen Einzelhändler können ja dann zu Google-Auslieferungssklaven werden, ehe sie das selbstfahrende Googlecar auch noch überflüssig macht.
Kurz: Lesen und dran reiben. Lohnt sich.
Jaron Lanier: Zehn Gründe, warum du deine Social-Media-Accounts sofort löschen musst. Hoffmann & Campe-Verlag, München, 2018, gebunden, 204 Seiten, ISBN 978-3-455-00491-5