Mit einem kleinen Büchlein hat ein profilierter Kritier des derzeitigen Digital(un)wesens, Jaron Lanier, dargelegt, warum er, um in seinem Jargon zu bleiben, die derzeitigen Sozialen Medien Scheiße findet. In seiner Schärfe kann man seine Kritik allenfalls mit der von Spitzner („Digitale Demenz“) oder der von Evgeni Morozov („Smarte Neue Welt“) stellen. Allerdings, und das gibt der Sache mehr Relevanz: Lanier guckt von innen. Er ist selbst einer der Pioniere der VR (Virtual Reality) und ist nach Jahren bei einer der Digitalkraken Nummer 1, Google, nunmehr zu Microsoft umgesattelt.
Und das ist vielleicht eine Schwäche seiner Argumentation, die sich vor allem gegen Google und Facebook als Monopolisten des Sozialen im Web richtet. Denn AWS, Microsoft und Apple reiht er in eine andere Liga ein – weil sie auch noch mit anderem ihre Geschäfte fundieren als mit den Daten ihrer Nutzer (AWS verkauft Bücher, Rechenleistung und bald alles, Microsoft versorgt Büros mit nützlichen oder weniger nätzlichen Softwaretools und Apple hat todschicke Rechner und Smartphones im Angebot, die man tatsächlich kaufen kann – doch dazu später).
Laniers Fundamentalkritik entzündet sich am Kern der Imperien von Google und Fachebook: daran, dass sie mit Algorithmen, die durch ihr gerade im richtigen Maße erratisches Verhalten das Dopaminsystem des Menschen triggern, ihre Nutzer damit zu Abhängigen machen. In diesem Zustand nun spuckt ein Nutzer durch seine permanenten Interaktionen mit den Plattformen Daten in beliebiger Menge aus, die sich wiederum in kommerziellen Erfolg der Plattformen umsetzen lassen, indem fein abgestimmte, oft banal anmutende, aber nachweislich wirksame Kaufanreize präsentiert werden oder indem man die Daten einfach meistbietend zur tiefergehenden Analyse an den verkauft, der gerade daran interessiert ist. Cambridge Analytika lässt grüßen.
So verlieren laut Lanier die Einzelnen die Kontrolle über die Informationen, da sie nur noch gezeigt bekommen, was sie nach Meinung der Plattform interessieren müsste. Ganze Gesellschaften unterliegen erheblichen Manipulationsrisiken durch diejenigen, die die Mechanismen der digitalen Werkzeuge am besten durchschauen und ihre Mittel am skrupellosesten einsetzen. Der Brexit lässt grüßen.
Lanier meint, des Pudels Kern liege darin, dass Soziale Medien im Interesse ihrer Inserenten arbeiten und nicht vor allem im Interesse ihrer Nutzer. Das ließe sich, so glaubt er letztlich, aushebeln, indem man sie komplett neu konzipiert und zum Beispiel für die Nutzer kostenpflichtig macht, weil dann die Plattformen in deren Dienst arbeiten würden. Vorerst rät er Anwendern, ihre Social-Media-Accounts samt und sonders zu kündigen und damit eine unmissverständliche Botschaft an die Sozialkraken überm Teich zu senden: So nicht. Gleichzeitig ist er aber klarsichtig genug zu erkennen, dass das für viele gar nicht möglich ist. Und dies nicht nur, weil der Arbeitgeber gern möchte, dass sein Mitarbeiter oder seine Mitarbeiterin im Web präsent ist. Sondern weil beispielsweise jedes Android-Handy einen zum Mitglied des Google-Stammes und jedes iPhone zu einem des Apple-Tribe macht. Tertium non datur, wie die Lateinerin sagt: Ein Drittes gibt es nicht, schade, Microsoft, dass Du die Alternative, die Dein Mobile immerhin darstellte, vom Markt genommen hast. Selbst, wenn es nicht so viele Apps dafür gab. Und das auch nur wieder wegen des schnöden Geldes.
Was ich an dem Buch besonders gut fand, ist, dass Lanier mit knappen Worten den KI-Mythos entlarvt. Ein Zitat: „Es ist völlig normal, einem Manager… dabei zuzuhören, wie er sich über die Möglichkeiten der kommenden Singularität auslässt, in der die KIs die Herrschaft übernehmen. … Das ist Schwachsinn. Wir vergessen dabei, dass KI eine Geschichte ist, die wir Kybernetiker vor langer Zeit erfunden haben, um an Forschungsgelder zu kommen… Damals war es eine Notlüge, aber inzwischen hat die KI sich selbständig gemacht und ihre Erfinder überholt. KI ist nur eine Phantasie, ein Märchen, das wir über unsere Programme erzählen.“ So isses, und viel mehr gibt es auch dazu nicht zu sagen. Zudem entwerteten KI-Verfechter menschliche Arbeit, sagt Lanier, indem sie menschliche geistige Leistung in Algorithmen eingeben und dann behaupten, der Algorithmus habe die intellektuellen Leistungen, die er abbildet, quasi selbst erarbeitet. Sein Beispiel sind Übersetzungsalgorithmen. Sie werden zwar immer beser – aber nur deshalb, weil sie täglich von den unzähligen Übersetzungen lernen, die menschliche Übersetzer leisten. Gerade da macht Microsoft übrigens leider überhaupt keine Ausnahme, Herr Lanier. Seine für Office 365 gelieferten Algorithmen zum Übersetzen dürften schon sehr bald die überwiegende Menge der Brot-und-Butter-Übersetzer, die ihr Geld mit im Wirtschaftsleben nützlichen Übersetzungsarbeiten verdienen, komplett arbeitslos machen.
Allerdings finde ich, dass Laniers Kritik auch anderswo zu kurz greift. Denn die Maßlosigkeit der Digitalgiganten ist eigentlich durch etwas anderes bestimmt als durch die Algorithmen: Durch die Idee, dass Größe und Gewinn mehr oder weniger der einzige Maßstab des Unternehmenserfolgs sind, dass Regulierung bäh ist, der Staat sich möglichst aus allem herauszuhalten habe, weil die Wirtschaft das dann schon selbst regelt und überhaupt das ganze neuliberale Blabla, mit dem wir in den vergangenen Jahrzehnten vom anderen Ufer des Teiches aus überschüttet wurden und das leider auch hier Früchte getragen hat. Erinnert sei an die oberpeinliche Werbekampagne eines Bankunternehmens, in dessen Zentrum schlicht das Wörtchen „ich“ stand (und das war keine Ausnahme).
Und auch Firmen wie Netflix (von Lanier als gutes Beispiel bezeichnet) schustern ihre Serien mit analytischen Mitteln zusammen – Ziel ist einzig, Anwender so lange wie möglich an der Glotze bzw. dem Bildschirm zu halten. Und Amazon hat sich schlicht vorgenommen, den Einzelhandel der Welt zu monopolisieren und gleichzeitig deren Ressourcen möglichst schnell zu verbrauchen, indem man nicht Verkauftes schlicht wegschmeißt, weil man sonst Umsatzsteuer dafür bezahlen müsste. Die pleitegegangenen Einzelhändler können ja dann zu Google-Auslieferungssklaven werden, ehe sie das selbstfahrende Googlecar auch noch überflüssig macht.
Kurz: Lesen und dran reiben. Lohnt sich.
Jaron Lanier: Zehn Gründe, warum du deine Social-Media-Accounts sofort löschen musst. Hoffmann & Campe-Verlag, München, 2018, gebunden, 204 Seiten, ISBN 978-3-455-00491-5

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