Wie sieht IT von hinten aus?

Wir sehen immer nur: noch schickere Geräte, noch höhere Auflösungen, noch flachere Bildschirme, noch mehr Apps, noch breitere Verbindungen, noch mehr Funktionen. Doch es gibt auch eine ganz andere Seite, und die geht im mit Milliarden gefütterten Marketinggebrüll der IT-Industrie häufig unter.
Es hat lange gedauert, aber im Moment sind gleich drei Filme auf dem Markt, die sich sozusagen mit der schmutzigen Rückseite der bunt schillernden IT-Welt befassen. Mit dem, was wir nicht sehen und hören wollen, wenn wir auf unsere supergeilen Gadgets gucken. Alle drei sind sehenswert, alle drei üben harsche Kritik an den Praktiken der IT-Industrie, und alle drei werden deshalb von großen Kinos kaum und schon gar nicht länger gezeigt. Das könnte einem ja den Appetit verderben auf die selbstverständliche Erneuerung elektronischer Geräte alle kurze Zeit und auf das automatische Ansteuern der großen sozialen Medien und Suchmaschinen jeden Tag, zigmal.
Da wäre einmal der von der preisgekrönten Dokumentarfilmerin Sue Williams und ihrem Team stammende Dokumentarfilm „Death by Design“. Er beschreibt, wie die angeblich so grünen Produktionsprozesse der IT sich im Silicon Valley und anderswo auswirken und was der Rücktransport des Elektroschrotts von den USA nach China anrichtet. Im Silicon Valley haben die großen IT-Riesen – hiervon machen wohl auch die angeblich besonders umweltbewussten und sozialfreundlichen keine Ausnahme – das Grundwasser durch die Aufbewahrung riesiger Mengen Lösemittelrückstände in unterirdischen Tanks großflächig gefährdet. Seit einiger Zeit wird versucht, die Verschmutzungen mit Hilfe auch staatlichen Geldes (eines sogenannten Superfunds) wieder aufzuräumen – was nach Angaben von Fachleuten in dem Film wohl Jahrhunderte dauern wird, da sich die gefährlichen Stoffe, neben Lösemitteln auch Schwermetalle und anderes, eben sehr langsam zersetzen. An anderer Stelle sind überproportional viele Menschen an Krebs erkrankt, weil laut Film Schadstoffe aus IBM-Produktion durch den Kellerboden in Häuser eingedrungen sind und dort die Bewohner gesundheitlich beeinträchtigen. Es gab schon Vergleiche mit Big Blue, doch wie sie genau aussehen, darüber werden die Betroffenen und ihre Anwälte zum Schweigen verdonnert.
In China, wohin heute die dreckige Produktion wegen geringer Kosten und noch geringerer Kontrollen gern ausgelagert wird, werden von vielen Fabriken die Abwässer komplett ungeklärt in den Fluss geleitet. Kommt eine Kontrolle, so berichtete ein Mitarbeiter eines Unternehmens anonym, füllt man einfach Trinkwasser statt der Dreckbrühe in Flaschen, und diese plumpe Betrugsmethode geht durch. man sieht unvorstellbar verschmutzte Kloaken, die sich am ehesten noch mit einigen Flüssen im Ruhrgebiet vor der Entwicklung einer effektiven Umweltgesetzgebung zum Wasserschutz hierzulande vergleichen lassen.
Dass die Arbeitsbedingungen beispielsweise bei Foxconn oft miserabel sind, ist zur Genüge bekannt. Doch das Interview mit einer, die aus Verzweiflung bei Foxconn aus dem Fenster sprang und nun querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt, berührt trotzdem. In den Recyclingfabriken von Guiyu zeigt der Film, wie Kinder im Dampf verbrennender Kabelummantelungen spielen oder einzelne Bauelemente sortieren.Dass es in amerikanischen Städten und Gemeinden, wie der Film anschaulich belegt, nicht besser aussieht, wenn sie vom recycling von Elektroschrott leben, beruhigt leider nicht wriklich.
Ein bisschen Hoffnung verbreitet der Film immerhin: Gegen Ende werden innovative Unternehmen vorgestellt, die versuchen, etwas zu ändern. Etwa Ifixit, ein Unternehmen für Spezialwerkzeug und Reparaturanleitungen für Smartphones oder ein irisches Unternehmen, das sich gerade bemüht, einen wirklich dauerhaft nutzbaren, aus möglichst nachhaltigem Material hergestellten PC zu entwickeln und vor allem zu vermarkten. Zwar wurde die Firma auf der letzten Cebit preisgekrönt, allein der Ansturm der Käufer oder Distributoren blieb aus.
Nun habe ich schon viel verraten, aber Trailer und Film lohnen sich trotzdem. Wenn sich ein Kino in Ihrer/Eurer Gemeinde traut.
In eine ganz ähnliche Kerbe haut „Welcome to Sodom“ (Trailer hier). Nur geht es in diesem Film um die liebste Elektronik-Müllkippe der Europäer, die sich in Afrika befindet. Leider habe ich in München noch kein Kino gefunden, das diesen Film zeigt – das wäre mal eine Aufgabe für die FilmaktivistInnen von den Programmkinos, denn die Großen werden sich mit diesem harten Stück dokumentarischer Filmarbeit wohl kaum die Finger schmutzig machen. Ich bin gespannt, wann wir im bayerischen Silicon Valley die Chance haben werden, den Documentary zu sehen.
Film Nummer Drei befasst sich mit einer anderen Art von Müllabfuhr, nämlich der geistig-emotionalen. Ich habe „The Cleaners“ gestern abend auf ARTe im Dokuemtnarfilmprogramm gesehen. Im Kino war er schon. Er sei all jenen anempfohlen, die sich dafür interessieren, wie die Großen (natürlich im Rahmen von mit reichlichen Schweigepflichten garnierten Outsourcing-Verträgen mit philippinischen Firmen) der sozialen Medien ihre Kanäle „sauber“ halten. Der Film lässt ehemalige Cleaner zu Wort kommen, ehemalige Führungskräfte aus Social-Media-Unternehmen, gelegentlich Herrn Zuckerberg bei einer seiner Ansprachen. Er zeigt auch Auszüge aus US-Kongresshearings, in denen es um den Einfluss der sozialen Medien auf die politische Meinungsbildung geht. Die Zuschauer erfahren etwas über die Ambiguität der Entscheidungen, ob etwas online bleibt oder nicht, von den durchaus diskussionswürdigen Wertvorstellungen und dem Selbstverständnis der weitgehend von den Philippinen stammenden professionellen „Cleaner“ im Dienst der Outsourcing-Firmen und auch davon, was dieser extrem fordernde Job mit ihnen macht und was sie täglich im Sekunden-Rhythmus mit ansehen müssen. Nur wenige Sekunden haben sie Zeit für die Entscheidung, ein Bild zu löschen, wenn es den Regeln des jeweiligen Social-Media-Unternehmens nicht entspricht, und ihre Arbeit wird kontrolliert.
Wer sich dafür interessiert, wer für die Social-Media-Sucht der Gesellschaft den Preis zahlt, wer die Dreckarbeit macht und was es bedeutet, wenn schwer kontrollierbare Privatfirmen entscheiden, was Milliarden zu sehen bekommen und was nicht, sollte sich The Cleaners nicht entgehen lassen. auch wenn die Betätigung des Like-Buttons danach etwas schwerer fallen dürfte. Der Film dürfte noch eine Weile in der Arte-Mediathek zu finden sein.