Zum Jahresabschluss: Grüne Rechenzentren, ein interessantes Kunstprojekt, eine Zeitschrift, Zertifikate und die Geschichte von Youtube

Das grüne Rechenzentrum ist plötzlich in aller Munde. Wo man sich bis vor wenigen Jahren den Mund vergeblich fusselig redete, um die Fachleute für mehr Energieeffizienz im RZ zu begeistern, gibt es plötzlich echtes Interesse – die Energiekrise macht es möglich. Einschlägige Verbände und auch Firmen überbieten sich in Green-IT-Konzepten, die isländische RZ-Branche wirbt mit dem schlagenden Argument des Kohlendioxid-freien RZ-Betriebs und in Frankfurt entstehen Pläne, wie endlich die Restwärme der rechnenden Heizöfen für sinnvolle Zwecke genutzt werden kann. Kurz: Man könnte meinen, nachhaltige IT hätte sich überflüssig gemacht. Und vielleicht ist das ja auch so.
Wer gern einmal etwas weniger Mainstreamiges über KI lesen möchte, kann sich das Magazin sustain aus dem Web herunterladen. Herausgegeben wird die Publikation von drei Organisationen: von Algorithm Watch, vom IÖW (Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung) und vom DAI (Distributed AI)-Labor der TU Berlin. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz unterstützt die Zeitschrift.
Sehr interessant fand ich in der Ausgabe vom Juni 2022 einen künstlierisch-wissenschaftlichen Versuch des Projekts Carbolytics, die Nachhaltigkeitswirkungen von Adtech sichtbar und erfahrbar zu machen.
Dass längst nicht alles Gold ist, was sich Mühe gibt zu leuchten, zeigt das Beispiel der Kohlendioxid-Zertifikate, die unsere angeblich ach so grünen Rechenzentren kaufen. Wie es wirklich läuft mit dem grünen Strom und den Zertifikaten kann man sehr schön hier nachlesen.
Wer also wirklich grünen Strom bei seinem Kolokateur will, darf nicht nach rechnerischer CO2-Neutralität fragen, sondern muss sich dafür interessieren, woher der Strom wirklich kommt: Von nebenan, vom Kohlekraftwerk oder von einer Wind- oder Solarfarm, deren Erträge tatsächlich ins kontinentaleuropäische Stromnetz eingespeist werden. Mit nominellen Neutralitätsnachweisen ist der Umwelt nämlich nicht gedient, höchstens dem Gewissen des RZ-Kunden.
Ein interessantes Buch möchte ich hier dringend rezensieren, bevor ich mich bis zum neuen Jahr verabschiede, und zwar eines über Youtube und seine Geschichte. Der Autor, Mark Bergen, hat sich über Jahre mit den Geschäftspraktiken von Google und Youtube beschäftigt und daran, wie jung er auf seinem Autorenfoto aussieht, kann man erkennen, wie alt man selbst ist, wenn man 35 Jahre IT auf dem Buckel hat. Youtube gab es überhaupt nur im letzten Drittel meiner beruflichen Laufbahn, man mag es kaum für möglich halten.
Bergen hat das Entstehen und Werden von Youtube von den ersten Tage an verfolgt. Und hat das Unternehmen auch dann nicht aus den Augen gelassen, als es im Google-Imperium unterzugehen drohte.
Was das Buch vor allem auszeichnet, ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Rolle der Creators, also derjenigen, die regelmäßig professionelle oder semiprofessionelle Inhalte, die eigens für Youtube aufgenommen werden, erschaffen. Außerdem hat er sich mit der zwiespältigen Situation befasst, die sich ergibt, wenn etwas wie Youtube (und Facebook und Twitter) nicht als Medium betrachtet wird, sondern als Plattform mit dem Anspruch, mit den Inhalten nichts zu tun zu haben.
Um Content ranken sich zunehmend Konflikte, und um die geht es hier auf vielen Seiten. Das zeigen die unzähligen Menschen, die sich heute mit dem Entfernen unzulässiger oder auch nur missliebiger Inhalte etc befassen, aber auch die Willkürakte eines Elon Musk, der kritische Journalisten einfach von seiner Plattform verbannt. Das alles demonstriert, was heutige digitale Groß-Plattformen tatsächlich von öffentlich-rechtlichen Medien unterscheidet: Die einseitige Ausrichtung an Gewinninteressen, ein Fehlen der Orientierung an Gemeinwohlkriterien und den Hang, Kritik am eigenen Tun durch Abschalten mundtot zu machen. Das Buch liefert jede Menge Gründe, sich mitnichten von öffentlich-rechtlichen Medien und klassischen Medienverlagen zu verabschieden: Filter werden nämlich nach wie vor gebraucht, und wenn nicht sie, dann wenigstens Handreichungen, die den Machern und Konsumenten digitaler Medien (beides ist ja oft genug dasselbe) helfen zu erkennen, was nützliche oder wenigstens unterhaltsame Information ist und was nur dazu dient, Unwissen, Fake-Informationen und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Oder dazu zu erkennen, wozu all dies nötig ist. Nämlich dazu, unsere Demokratie und damit den Garanten für unser alle freie Entfaltung weiterhin funktionsfähig zu erhalten.
Bibliographie: Mark Bergen: YouTube. Die globale Supermacht. Wie Googles Videoplattform unsere Weltsicht dominiert. Gebunden, 543 Seiten. Droemer-Verlag, München, deutsche Erstausgabe 2022. ISBN 978-3-426-27849-9, 24,70 Euro.
Übrigens: Bücher kauft man in der Lieblingsbuchhandlung um die Ecke. Die ist immer für Sie da, sorgt für Atmosphäre, wo Sie leben und schafft lokale Arbeitsplätze.

Bits@Bäume in Berlin

Zum zeiten Mal findet derzeit die Bits&Bäume in Berlin statt. Die Tagung vereint die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit und wird vorwiegend von Studenten und anderen Freiwilligen, zum Beispiel aus Umweltverbänden, organisiert. Die erste B&B fand 2018 statt, dann kam Corona, und jetzt geht es weiter. Veranstaltungsort ist die TU Berlin. Wer Details wissen will: Die Tagung wird live gestreamt und hat einen Blog, der von überall auf der Konferenz ausschwärmenden RedakteurInnen sofort gefüllt wird. Hier deshalb nur einige Beobachtungen am Eröffnungsabend.
Auch die offizielle Politik war, vertreten durch zwei Staatssekretärinnen, auf dem Eröffnungspodium präsent. Neben viel Fundamentalkritik an der unhaltbaren globalen Ungerechtigkeit, die durch Digitalisierung anscheinend nach aktuellen Befunden eher befördert als ausgeglichen wird, gab es substantielle News für die Branche: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat endlich bei der Deutschen Rohstoffagentur und dem Umweltbundesamt ein Projekt begonnen, das sich mit der Erforschung und Entwicklung von Recyclingmöglichkeiten für die vielen Stoffe beschäftigt, die in ITK-Geräten stecken, aber nicht rezykliert werden. Rezykliert werden in Europa nur vier Prozent der kritischen Rohstoffe. Das soll sich ändern, dafür gebe es „tolle neue Technologien“. Andere Initiativen laufen auf EU-Ebene, zum Beispiel eine neue Designrichtlinie, die beispielsweise Mindestzeiten vorschreiben soll, in denen Ersatzteile für Elektronikgeräte vorgehalten werden müssen.
Ändern sol sich auch, dass es bislang, wie die Vertreterin des Ministeriums zerknirscht zugibt, erst ein bundeseigenes Rechenzentrum gibt das nach den Kriterien des Blauen Engels für Rechenzentren arbeitet. Bisher war nämlich der Erfolg der Zertifizierung sehr überschaubar. Damit sich das Projekt endlich zum Erfolg entwickelt, werden jetzt die Kriterien überarbeitet, und die Beschäaffungsämter des Bundes sollen in Zukunft bei der Beschaffung neuer RZ-Ressourcen diese Kriterien auch selbst einzuhalten, sofern es entsprechende Angebote auf dem Markt gibt.
Sehr umstritten ist dabei das Thema Abwärmenutzung.
In der neuen Energieeffizienzverordnung, an der derzeit gearbeitet wird, soll den Rechenzentren für den Anfang 30 Prozent Abwärmenutzung auferlegt werden – und dann jedes Jahr zehn Prozent mehr. Damit das klappt, müssen Bundes- und Landesregierungen ebenfalls ihre Hausaufgaben machen. Zum Beispiel regulieren, dass vorhandene Wärmenetze nicht nur genutzt werden können, sondern müssen (Anschluss- und Benutzungszwang), wer nicht vorhandene Leitungen bezahlen soll, die rechliche Behandlung von Wärmepumpen zur Energieanreicherung lauwarmer Abluft und so weiter.
Gleich gehts weiter: Wer mehr wissen will, guckt in den Bits&Bäume-Livestrom oder liest den Blog (Links siehe oben).
Leider gibt es auch eine schlechte Nachricht aus der Welt der nachhaltigen IT: Wie die schweizerische Computerworld meldete, stellt die erst 2021 gegründete Prime Computer Ende Oktober wegen Schwierigkeiten mit Finanzierung und Lieferkette den Betrieb ein. Prime wollte nachhaltig sein und nur Geräte aus 100 Prozent rezyklierten Rohstoffen bauen. Hoffentlich wird das Unternehmen noch gerettet, oder es findet sich bald ein Nachfolger!

Nachhaltige IT im Mai: Der Blaue Engel für Rechenzentren in der Renovierung (und andere kleine Fortschritte)

Der Mai bringt einiges auch nachhaltigkeitspolitisch Interessante. Zum Beispiel läuft ein Prozess, der den Blauen Engel für Rechenzentren erneuern soll. Rechenzentren sollen, falls der Entwurf durchkommt, jetzt beispielsweise ihre Abwärme nutzen – freilich vorerst nur in den eigenen Räumlichkeiten. Mal sehen, ob sich das durchsetzen lässt. Der Konsultationsprozess hat ja eben erst begonnnen. Wer sich einbringen und die Kriterien kommentieren will, der kann dies hier tun. Kriterienliste links, die Kriterien einzeln anklicken, dann erscheint eine nähere Beschreibung mit Kommentierungsmöglichkeit.
Weiter kommen die sogenannten KI-Prozessoren langsam in die Puschen. Das sind Prozessoren, mit denen das Anlernen von neuronalen Netzen beschleunigt wird. Gleichzeitig sind diese Architekturen weitaus weniger energieverschwenderisch als das, was wir heute dafür verwenden. Im Leibniz-Rechenzentrum wird gerade so etwas von Cerebras . Auf der Website der Firma kann man dieses Rechenwunden in der Größe eines Teetabletts bestaunen.
Und Nachhaltigkeit wird zum Top-Thema auch in der geschäftlichen Software. Ein Beleg dafür: Die Software AG, die mit dem ARIS-Toolset eine der Top-Lösungen für Prozessanalyse und -planung anbietet, erweitert ihre Lösung um ein Nachhaltigkeitsmodul: ARIS for sustainability.
Kurz: Es tut sich was. Fragt sich, ob schnell genug.

Endlich: Nachhaltige IT professionell erlernen können!

Es war Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, als ich in Bonn zum ersten Mal an einer Konferenz zum Thema „Informatik und Umwelt“ teilnahm und darüber einige Artikel schrieb – für das Elektronik Journal und das Umweltmagazin, die im längst nicht mehr autonom existierenden Europa Fachpresse Verlag herausgegeben wurden.
Kaum 40 Jahre und unzählige Artikel (natürlich von ganz vielen Leuten, nicht nur von mir) und Konferenzen und grüne Feigenblättchen später geschieht das Wunder: Die erste deutsche Universität begründet einen Studiengang, der beide Themen, Informatik und Nachhaltigkeit, ENDLICH! Zusammenbringt.
An der Universität Würzburg entsteht der Studiengang „Informatik und Nachhaltigkeit“. Initiiert wurde er von Tobias Hoßfeld, wie das Greenpeace-Magazin in seiner aktuellen Ausgabe berichtete.
Auf der Website des Studiengangs finden sich alle wichtigen Infos. Nach dem Erwerb von Grundkenntnissen in beiden Bereichen (IT und Nachhaltigkeit) können sich die Studierenden entweder auf „nachhaltige IT“ oder „IT für die Nachhaltigkeit“ spezialisieren. Während ersteres effizientere Systeme, Architekturen und Algorithmen bedeutet, meint zweiteres die klassische Umweltinformatik, also den Einsatz digitaler Technik, um mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu realisieren.
Außerdem gibt es mögliche Vertiefungsschwerpunkte in Biologie, Kartografie und Fernerkundung. Schließlich können Studierende anderer Fachrichtungen, z.B. der Informatik, Luft- und Raumfahrt den Bereich „Nachhaltige IT“ als Vertiefungsfach wählen. Einen Master-Studiengang für Informatik und Nachhaltigkeit gibt es noch nicht, aber was noch nicht ist, kann ja noch werden.
Mein Glückwunsch an Tobias Hoßfeld und die Uni Würzburg dafür, endlich diesen längst überfälligen Schritt unternommen zu haben. Und meine besten Erfolgswünsche für die hoffentlich hartnäckigen, ideenreichen und in Sachen Umweltschutz unnachgiebigen Berufstätigen, die aus diesem Studium hoffentlich erwachsen werden. Die Welt braucht Euch. Dringend!

Die Uni Würzburg ist nicht der einzige Ort hierzulande, wo man erkennt, dass IT entweder nachhaltig sein und wirken muss oder gar nicht. Das Hasso Plattner Institut veranstaltete erst kürzlich eine Tagung zum Thema Nachhaltige Softwareentwicklung (die Aufzeichnungen sämtlicher Vorträge finden sich hier) und stellte auf dieser einen kostenlosen zweiwöchigen Online-Kurs (Aufwand pro Woche laut Website: 2-6 Stunden) zum Thema nachhaltige Softwareentwicklung vor. Wer sich damit befassen möchte, sollte Grundkenntnisse in Python-Programmierung mitbringen. Auf diesen Gedanken sind bis heute (7.4.2022) bereits mehr als 2000 Interessierte gekommen, und es dürfen wohl ruhig noch mehr werden.