Überwachung und wie Gesetze und wir selbst uns davor schützen könnten – Rezensionen

Weil Ökologie auch immer „Ökologie des Geistes“ ist, und Überwachung eine Art „kommunikatiove Umweltverschmutzung“, befasst sich nachhaltige IT auch mit diesem Thema. Nachdem das Aufkommen des NSA-Skandals nun ein Jahr zurückliegt, entwickelt die Diskussion um Datenschutz und Datensicherheit immer mehr Dynamik, zumal sich zeigt, dass die deutsche Justiz – motiviert von wem auch immer – davor zurückschreckt, gegen den NSA und seine Hintermänner aktiv zu werden: Gerade heute ließ der Generalbundesanwalt mitteilen, es werde keine Ermittlungen und kein Verfahren wegen der Abhöraktivitäten gegen Frau Merkels Handy und auch gegen das millionenfache Abgreifen von E-Mails und Telefonaten deutscher Bürger geben, dies habe keine Aussicht auf Erfolg. Armseliger kann ein Armutszeugnis der Justiz wohl kaum ausfallen.
Da müssen wohl, wie schon manchmal in der Geschichte, Journalisten die Rolle des Wachhundes übernehmen und tun dies auch. Gleich zwei Bücher sind gerade erschienen bzw. im Erscheinen begriffen, die sich explizit mit dem heiklen Thema befassen.
Das eine stammt von Glenn Greenwald, dem journalistischen Helfer Edward Snowdens („Die globale Überwachung – Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen“). Es besteht eigentlich aus drei Büchern: Einem Thriller, einem Sachbuch über den Geheimdienst NSA und seine durch Dokumente offenbarten Denkweisen, Praxen und Ziele und einem politischen Essay über den Sinn und Zweck der Privatsphäre und wie sie zu verteidigen ist.
Der Thriller handelt davon, wie Greenwald mit Snowden zusammenkam, wie man es schaffte, an Politik, Polizei und Geheimdiensten vorbei die Snowden-Dokumente geheim- und zusammenzuhalten, zu durchforsten und am Ende in einem professionell vorstrukturierten Prozess schrittweise zu veröfentlichen – immer mit der Idee im Auge, dadurch die größtmögliche Glaubwürdigkeit und Öffentlichkeitswirkung zu erzielen, ohne Einzelpersonen zu schaden, etwa, indem man Agenten namentlich enttarnt und damit zum Abschuss freigibt.
Der zweite Teil, der neben den bereits bekannten auch neue NSA-Dokumente bringt, erschreckt in der Plattheit, in der hier der NSA und der britische GCHQ ihre Allmachtsphantasien offenbaren. Ihr Ziel ist ganz schlicht, alle Kommunikationsvorgänge weltweit zu ermitteln, zu speichern, zu analysieren, interessierten Partnern zugänglich zu machen und damit der Privatheit irgendwelcher elektronisch vermittelten Kommunikation ein Ende zu bereiten. Oder, wie es auf einer der Original-NSA-Folien heißt: „Sniff it all – Know it alll – Collect it All – Process it All – Exploit it all – Partner it All“. Und über die politische Haltung heißt es auf einer anderen Folie mit kaum noch zu überbietender platter Klarheit: “Oh yeah… Nimm Geld, nationale Interessen und das Ego zusammen, das ist die Gestaltung der Welt in großem Maßstab. Welches Land möchte die Welt nicht besser machen – für sich?“ Auf einer anderen Folie heißt es: „Worin besteht die Bedrohung? Sagen wir es offen – die westliche Welt (insbesondere die USA hat durch die Setzung von Standard in der Frühzeit des Internets Einfluss gewonnen und viel Geld verdient. Die USA waren der wichtigste Akteur bei der Gestaltung des Internets, wie es uns heute zur Verfügung steht. Dies führte zu einem intensiven Export von amerikanischer Kultur und Technologie. Und US-Unternehmen haben dabei viel Geld gemacht.“ Bei den Methoden ließ man sich, so zeigt das Kapitel mit einigen noch nicht veröffentlichten Dokumenten, von ungebremstem Größenwahn leiten. So wurden in Kooperation mit dem britischen GCHQ Unsummen von Geld ausgegeben, um auch die Telefonate aus fliegenden Flugzeugen heraus zu überwachen und genau einem spezifischen Sitzplatz zuzuordnen. Auch die oft gepriesenen Blackberrys sind nicht sicher. Größere IT-Gerätelieferungen wurden häufiger abgefangen, die einzelnen Geräte mit Spionageequipment ausgerüstet und anschließend zum ahnungslosen Endkunden geschickt. Firmen wie Intel waren und sind wohl in dem Spiel um die allumfassende Überwachung willfährige Helfer der amerikanischen Regierung und Geheimdienste. So ließ sich Snowden in der letzten Phase vor seiner Aktion von Dell beschäftigen, um an bestimmte Geheimdokumente zu kommen, auf die eigentlich nur hochrangige Geheimnisträger hätten zugreifen dürfen – auf die aber real zig bei Firmen angestellte Analysten ohne jeden Rechtfertigungsdruck Zugriff hatten. Greenwald sagte auf Nachfrage nach spezifischen Unternehmen (VMware, Cloud-Provider) während einer Lesung in München: „Ich kann nicht über unveröffentlichte Dokumente reden, aber ich traue keinem einzigen US-Technologieunternehmen.“ Dies ins Stammbuch all jener, die immer noch daran glauben, dass ihre Daten in der Cloud eines amerikanischen Anbieters gut aufgehoben wären.
Teil Drei des Buches sagt mit erfreulicher Klarheit, warum Privatsphäre wichtig ist: Weil Menschen nämlich nur in ungestörter Privatheit wirklich erforschen und erfahren können, wer sie im tiefsten Inneren sind. Sobald man sich beobachtet fühle, das belegt Greenwald auch durch Forschungsergebnisse, verändere sich das Verhalten. Menschen würden unfrei. Das gelte unabhängig davon, ob ihre Daten am Ende tatsächlich jemand ansieht oder nicht. Was hilft? Greenwald setzt vor allem darauf, dass die Einzelnen den Kampf um ihre Privatheit aufnehmen, gegen Überwachung protestieren und beginnen sich zu schützen, indem sie beispielsweise ihre Mails verschlüsseln oder anonym surfen. Besonders wichtig seien auch die Journalisten, so lange sie sich von Staat und Industrie fernhalten und ihre Rolle als vierte Gewalt ernst nehmen.
Etwas verwundert hat die Rezensentin, dass sich Greenwald in dem Buch so wenig zum Thema Wirtschaft äußert. Denn die Datenausforschungen, die Big-Data-Technologie großen Unternehmen ermöglicht, sind in den Augen vieler auf längere Sicht genauso ärgerlich, wenn nicht gar bedrohlich, wie die durch den Staat. Greenwalds Kritik fokussiert sich, ganz in der Tradition US-amerikanischer Staatsskepsis, aber ganz auf diesen, als wäre nicht heute die Politik oft genug nur noch eine Marionette mächtiger wirtschaftlicher Interessen. Uneingeschränkt empfehlenswert ist das Buch trotzdem für alle, die sich ein aktuelles Bild machen wollen vom Stand der Offenlegung des NSA-Skandals und auch jenen, die immer noch glauben, Privatheit wäre ein Luxus, auf den wir einfach so verzichten könnten.
Eine andere, nicht weniger aufklärerische Publikation stammt von dem grünen politiker Jan Philipp Albrecht, der Verhandlungsführer für die Novellierung der EU-Datenschutzgrundverordnung im bis 2014 amtierenden Europaparlament war.
Albrecht beschreibt zunächst, wie die Technologieentwicklung den digitalen Zugriff auf immer mehr Informationen und die digitale Steuerung immer mehr wichtiger Vorgänge erlaubt, beispielsweise durch Handelsalgorithmen, die das Börsengeschehen in den vergangenen Jahren an der Masse der Anleger vorbei revolutioniert haben, aber auch durch die automatische Ortung mittels GPS-Modulen, wie sie demnächst in jedem Fahrzeug vorgeschrieben werden. Dann beschreibt er, wie im Verlauf dieser Entwicklung der Datenschutz immer mehr ausgehöhlt wurde, weil die Politik die technologische Entwicklung schlicht verschlief und ihre Auswirkungen nicht erkannte, was inzwischen dazu geführt habe, dass durch Abgreifen von Daten und Analyse das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen insgesamt gefährdet sei.
Dankenswerterweise beschreibt Albrecht in großer Klarheit auch die Gründe, warum sich die Verabschiedung der schon lange als Entwurf vorliegenden neuen EU-Datenschutzgrundverordnung sich immer wieder verzögert. Weil nämlich mit viel Geld ausgestattete Interessenträger insbesondere der IT- und Internet-Industrie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um den Text der Verordnung in ihrem Sinne zu verändern und abzuschwächen. Anschaulich erklärt Albrecht, wie unerbittlich die Mühlen des Verbände-Lobbyismus mahlen und wie es nahezu unmöglich ist, den Einflüsterungen und Drohungen dieser hochbezahlten Lobbyisten zu entkommen. Schließlich hält der Autor, begründet durch das Vorangehende, ein Plädoyer für starken Datenschutz in Europa, damit nicht das schwer erkämpfte Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen politisch-wirtschaftlichen Interessen mächtiger Eliten und Konzerne geopfert wird. Leser, die das Thema Datenschutz aus einer europäischen politischen Perspektive interessiert und die gleichzeitig etwas über den Einfluss wirtschaftlicher Lobbygruppen erfahren möchten, finden hier in einer schnell konsumierbaren Form, was sie suchen.

((Bibliographie))
Glenn Greenwald: Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen. Droemer München 2014, gebunden, 365 Seiten. 19,99 Euro. ISBN 978-3-426-27635-8

Jan Philipp Albrecht, Finger weg von unseren Daten! Wie wir entmündigt und ausgenommen werden. Reihe Knaur Klartext, Droemer/Knaur-Verlag, München 2014, 192 Seiten, broschiert, 7 Euro. ISBN-10:3-426-78687-7

Das Internet ist kein Naturgesetz: Wider den Daten- und Perfektionswahn (Rezension)

Kritik an der Informationstechnik zu üben, ist derzeit in. Allerdings geht dabei kaum jemand so profund und philosophisch zu Werke wie Evgeny Morozov. Der Autor, dessen erstes Buch „The digital Delusion“ sich mit dem überschätzten Einfluss sozialer Medien auf politische Prozesse und Umwänzungen befasste, stellt in diesem Buch die Grundlagen der heutigen IT-Philosophie in Frage.
Dabei wendet er sich gegen zwei von ihm verortete „ismen“: Den Internetzentrismus und den Solutionismus. Unter Internetzentrismus versteht der Autor die von der IT-Branche erzeugte Illusion, das Internet entfalte sich nicht etwa in seiner existierenden Form, weil dies politisch und technisch so entschieden wurde (was bedeuten würde, dass man es genau so gut hätte anders gestalten können und in Zukunft wird anders gestalten können). Sondern dass es vielmehr inhärenten, gewissermaßen naturgesetzlichen Eigenheiten folge, auf die nicht nur Anwender, sondern auch Entwickler und die Politik im Grunde keinen Einfluss haben. Einem so übermächtig verstandenen Internet könne sich die Gesellschaft nur anpassen, was aber in Wirklichkeit die Anpassung der großen Mehrheit der Menschen an die gut hinter angeblichen Eigengesetzlichkeiten verborgenen Interessen einiger weniger Branchen bedeute.
Stattdessen plädiert Morozev dafür, das Internet an sich als Gestaltungsraum zu betrachten. Nicht nur Content, sondern auch sein Funktionieren, seine Weiterentwicklung und seine Nutzungsregeln seien mitnichten quasi eigengesetzlich vorgegeben, schon gar nicht von gewissermaßen zwingenden inhärenten Eigenschaften dieser Technik selbst.
Seine zweite Kritik richtet sich gegen den Solutionismus, worunter er das Bestreben versteht, alle möglichen Probleme des sozialen Lebens durch technologische Maßnahmen in eine – zumindest von den Architekten dieser Maßnahmen erwünschte – Richtung zu lenken und letztlich möglichst perfekt zu „lösen“. In diese Rubrik fallen auch alle jene Bestrebungen, mit Hilfe immer intensiverer Datenerhebungen (Big Data) noch das letzte Vermarktungspotential aus den einzelnen potentiellen Kunden herauszuquetschen oder Risiken beim Geschäftsabschluss gegen Null zu bringen, indem man potentiell unprofitable Kunden erst gar nicht mit dem Produkt, etwa einer Versicherung, bedient.
Auch die Politik ist von derartigem Denken nicht gefeit – wer Bürger darauf dressiere, dass jedes halbwegs sinnvolle bürgerschaftliche Verhalten mit Sternchen, Pünktchen oder Digital-Blümchen belohnt wird wie das Gamifizierungs-Ansätze teilweise vorsehen, müsse sich nicht wundern, wenn der so dressierte Staatsbewohner bald gar nichts mehr einfach so, aus innerem Antrieb tue, was nicht nur ihm oder ihr selbst nutzt. Wer mit Hilfe digitaler Tools die Umgebung gewissermaßen lückenlos regle, müsse am Ende damit rechnen, dass alle sozialen Instinkte entfallen, sobald eine Lücke in der Regelungsdichte auftritt. Schließlich funktioniere soziales Verhalten bisher durch Erziehung und sozialen Umgang und sei wie mangelhaft auch immer in den meisten Individuen dauerhaft verankert, weshalb Menschen auch ohne „Gewinn“, Preis“ oder „Strafe“ für die Gesamtheit nützliche Dinge täten. Dies, das bestreitet Morazev nicht, widerspreche zwar dem Ideal des Homo Oeconomicus, das aber Morazev wie inzwischen viele als ohnehin zu eindimensional ablehnt. Statt etwas endgültig mit wissenschaftlichen oder pseudo-wissenschaftlichen Methoden zu „lösen“, gelte es bei vielen Themen, die sich darum rankenden gesellschaftlichen immer wieder auszufechten. Dies ist nach Meinung des Autors auf immer unvermeidlich, solange man nicht alle Menschen in einer Gesellschaft komplett gleichschaltet. Seien doch Diskurs, Konflikt und das mühselige Herantasten an eine Lösung inklusive ihrer immer wieder erfolgenden Veränderung nach erneuten Diskursen gerade das, was demokratische Gemeinwesen ausmache und ausmachen müsse.
Ins Gericht geht der Autor schließlich auch mit den digitalen Methoden völliger Selbstentblößung, wie sie in sozialen Medien geschieht, und mit der damit allzu häufig verbundenen Forderung nach „Authentizität“. In verschiedenen Sektoren seines Lebens verschiedene Rollen spielen zu können und zu dürfen, nicht jedem alles und jederzeit mitzuteilen, sei nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für Politik und eine freie Gesellschaft unabdingbar – ganz abgesehen von den gigantischen Mengen an Belanglosigkeiten, für die heute Elektrizität und Speicherplatz verschwendet werden.
Morazev präsentiert sich bei allen Vorbehalten nicht als ein Techno-Kritiker, der am liebsten bei Wasser, Brot und keinem Strom zurück in den Urwald will. Technologie sei durchaus für den Fortbestand der heutigen menschlichen Zivilisation unvermeidlich. Es komme aber darauf an, unter welchen Prämissen, wie und von wem sie gestaltet werde. Hier plädiert er dafür, sich von der Vorstellung, eine Technologie müsse jedes Problem so lösen, dass das Problem für den Anwender gewissermaßen unsichtbar wird (aber möglicherweise durchaus noch immer existiert), zu verabschieden. Technologie müsse in ihrer Gestaltung vielmehr so aussehen, dass sie gesellschaftliche Denkpotentiale aktiviere, mithin tiefgehendes Nachdenken über die Natur von Problemen, den zugrundeliegenden Paradigmen und damit gesellschaftliche Lösungsansätze fördere.
Dafür nennt der Autor als Beispiel die Klimadebatte: Lösungen, die dem Anwender eines Smart Meters in einer westlichen Großstadt vormachten, etwa durch schicke Vergleiche mit einer Durchschnitts-Verbrauchskurve, wenn er nur gleich viel oder etwas weniger Strom wie der durchschnittliche Stadtbewohner verbrauche, habe er seinen Teil zur Lösung des Problems bereits beigetragen, führen seiner Meinung nach am Problem vorbei.
Vielmehr brauche man „widerständige“ oder „reibungsreiche“ Technik. Als Beispiel berichtet er über ein System, bei dem Pflanzen (also CO2-Speicher) über Sensoren und Kabel mit stromverbrauchenden Geräten verbunden sind. Verbraucht der Anwender mehr Strom als seine Pflanzen gleichzeitig CO2 aufnehmen können, führt das nach den einprogrammierten Algorithmen nach einer Weile zum Tod der jeweiligen Pflanzen. Durch solche Systeme werde das eigentliche Problem nicht vor dem Anwender verschleiert, sondern ihm erst in aller Deutlichkeit bewusst gemacht. Derzeit entstehen solche Lösungen allerdings vor allem in Designkursen und an Kunsthochschulen, und ob man selbst erwägen würde, sich ein solches System im Zimmer zu installieren, mag dahingestellt bleiben.
Jedenfalls führt die Lektüre von „Smarte neue Welt“ dazu, dass man mit einigen der digitalen Segnungen der Jetztzeit etwas weniger selbstverständlich umgeht und in Alternativen zum Bestehenden denkt. Bestes Beispiel dafür, dass man sich auch vom Glauben an die Eigengesetzlichkeit des Internet lösen kann, ist die jüngst publizierte Internet-Grundrechtscharta, die sich soeben Brasilien gegeben hat. Sie macht Schluss damit, unbegrenzten Datenzugriff oder mangelhaften Datenschutz als Unvermeidlichkeiten hinzunehmen und fordert statt dessen, dass die Technologie des Internet so gestaltet wird, dass sie mühseig errungene bürgerliche Freiheiten nicht per Knopfdruck zunichte macht. Es wird spannend, ob der brasilianische Angang tatsächlich Erfolg zeitigt. Wenn ja, wäre das sowohl ein Beleg für die Stimmigkeit von Morazevs Ideen als auch ein Hoffnungsschimmer für die sogenannten bürgerlichen Werte – im Endeffekt ein Resultat der britischen Magna Charta und der französischen Revolution. Beides hat zu viele Opfer gekostet, als dass man ihre Ergebnisse einfach so wieder aufgeben sollte. Schließlich sind wir noch immer damit beschäftigt, Werte wie Freiheit (des Menschen, nicht des Internet) und Gleichheit, Diskurs und Demokratie auf der Welt zu etablieren.

Bibliographie: Evgeny Morozov: Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen. Gebunden, 655 Seiten, Vlessing-Verlag, München, 2013. ISBN 978-3-89667-476-0, 24,99 Euro.

Important call for action: Bürgerliche Rechte in der digitalen Welt – Civil rights for the Digital Age

Der Kampf um die Bürgerrechte im digitalen Zeitalter hat endgültig begonnen. Heute erscheint in 20 deutschen und vielen anderen Zeitungen weltweit ein Aufruf von 560 Schriftstelloern, darunter fünf Nobelpreisträgern. Er befasst sich mit dem Missbrauch digitaler Daten durch Regierungen und Unternehmen und fordert im Grunde eine weltweit gültige digitale Menschenrechtscharta. Link zum Original, hier aus der FAZ. Der Aufruf steht bei Change-Org (mit Adressatin Viviane Reading, EU) zur allgemeinen Unterzeichnung bereit.

Übrigens: Auch Hersteller von Big-Data-Sysatemen sollten sich ihrer Verantwortung für ihre Big-Data-Produkte endlich bewusst werden. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Daten der Big-Data-Kunden sicher vor unbefugten Zugriffen sind, sondern auch um die Daten, die diese Kunden auswerten: Wer als IT-Anbieter seinen Kunden eine Big-Data-Lösung verkauft und mit ihnen geeignete Analytics-, Auswerte- und Darstellungstools konzipiert, die auf moralisch oder rechtlich fragwürdige Erkenntnisse zielen, wer nicht davon abrät, Daten so zusammenzufassen, dass indirekt eine Individualisierung von Nutzern wieder möglich ist, wer Anwendungen vorschlägt, mit entwirft oder nicht von ihnen abrät, die eine lückenlose Kontrolle der gesamten Bevölkerung oder unbescholtener Bevölkerungskreise ermöglichen etc. ist für die Ergebnisse seines Handelns und damit für die dadurch möglichen Handlungsweisen seiner Kunden mitverantwortlich. Denn wer Big-Data-Lösungen verkauft, verkauft nicht einfach schwarze Kisten, sondern muss sich, um geeignete Lösungen zu finden, in die Anliegen seiner Kunden hineindenken und mit ihnen identifizieren! Deshalb gehört zu jedem Big-Data-Projekt eigentlich auch eine Art Ethik-Beratung des betreffenden Kunden.

Summary: Today, more than 500 writers worldwide, among them 5 nobel prize laureates, published a text in almost every important newspaper on the planet that calls for a new kind of digital human rights charter that ends misuse of data by governments and comüpanies and gives people their data autonomy back. The text is online at change.org for signing by the general public. Sign!

Big Data: Überwiegen Chancen oder Risiken?

In den vergangenen Wochen hate ich gleich doppelt, nämlich anhand zweier neuer Bücher, Gelegenheit, mich mit dem Thema „Big Data“ zu befassen. Zum einen, als mir ein gigantischer Umschlag mit einem genauso gigantischen Buch ins Haus flatterte: Bit Data heißt es und beschreibt in spektakulären Fotos von teuren, international angesehenen AutorInnen (meist aus den USA) was Big Data ist, kann und wo die Risiken liegen. Der Inhalt ist übersichtlich gegliedert: Ein zwei-bis vierseitiger Text aus der Hand einer/s erfahrenen Journalist/in am Anfang auf silbernem(!) Hintergrund beschreibt jeweils den Aspekt, um den es in dem Kapitel geht, dann folgen Fotografien und begleitende Texte – die Fotos in spektakulärer Qualität, die Texte zumindest interessant. Gesponsort wurde das Werk allen voran von EMC, aber auch Cisco, VMware, FecEx, Tableau und Originate, die beiden letztgenannten Firmen echte Big-Data-Spezialisten. Fundamentalkritik am Thema ist bei dieser Urheberschaft nicht zu erwarten, aber immerhin bekommt man interessante Infos. Immerhin wird in einigen Texten darauf hingewiesen, dass das massenweise Sammeln und Auswerten von Daten durchaus auch negative Effekte haben könne, beispielsweise größere Chancen im Bereich Cybercirme. Immer jedoch wird Big Data als unausweichlich hingestellt, was ich angesichts der Tatsache, dass es sich dabei nicht um einen Asteroiden, sondern eine menschliche E Erfindung handelt, etwas ärgerlich finde. Spaß machen auf jeden Fall die vielen opulenten Bilder und auch die Beschreibungen von Menschen, die mit Big Data verbunden sind. Übrigens ist das ganze Werk in Englisch, und mir ist unbekannt, ob „The Human Face of Big Data“ überhaupt im handel erhältlich ist. Falls dem so sein sollte, hier die Biographie; „The Human Face of Big data

Jennifer Erwitt, Rick Smolan: „The Human Face of Big data.“ Bildband, gebunden, 215 Seiten, in Englisch. ISBN 078-1-4549-0827-2, USA: 50 Dollar.

Ganz anders geht der österreichische Journalist Rudi Klausnitzer an das Thema heran. Sein Band ist etwa genau so lang, kommt aber ohne ein einziges Foto aus und beschreibt auf Deutsch alle wichtigen Aspekte, Anwendungsfelder und auch viele Projekte von Big Data. Anhand einprägsamer Beispiele macht Klausnitzer klar, was Big Data schon kann oder demnächst können soll und wie das unser aller Leben beeinflussen wird oder es heute schon beeinflusst. Wer einmal eines seiner Beispiele live erleben möchte, möge sich dieses Youtube-Video ansehen. Bei aller Begeisterung für die Technologie ist dieses Buch doch erheblich distanzierter und kritischer als das zuerst beschriebene und fordert vor allem ausreichenden Datenschutz für die von Big Data Betroffenen. Das sind dieselben Menschen, die heute ohne großes Nachdenken via Tablet, Smartphone, Kreditkarte und GPS eine immer breiter werdende Datenschleppe hinter sich herziehen, an der andere Leute später Geld verdienen, in der Regel, ohne den Urhebern der Datenflut etwas abzugeben und schlimmstenfalls sogar, ohne sie überhaupt zu fragen, ob sie diese Daten benutzen dürfen. Übrigens: Anonymisierte Daten dürfen nach heutiger Rechtslage auf jeden Fall verkauft werden. Wohl zutreffend kommt Klausnitzer am Ende seines Buches, das schon wegen der vielen Quellenhinweise lesenswert, aber auch einfach fesselnd ist, zu dem wenig überraschenden Schluss, dass, falls es Politikern, Bürgern und Interessenvertretern nicht gelänge, einen einigermaßen akzeptierten „New deal“ zum Thema Big Data mit ausreichendem Datenschutz für den Einzelnen zu realisieren (Eigentumsrecht an eigenen Daten, volle Kontrolle über den Gebrauch eigener Daten, das Recht, Daten endgültig zu löschen), habe das Thema trotz großer vorhandener Chancen für die Gesellschaft das Potential zur größten Bürgerrechtsauseinandersetzung des nächsten Jahrzehnts.

Und hier noch die biographischen Daten: Rudi Klausnitzer, Das Ende des Zufalls. Wie Big data uns und unser Leben vorhersagbar macht. Ecowin-Verlag, März 2013, ISBN 9-783711-000408, 21,90 Euro.

Süddeutsche: Nahezu chinesische Verhältnisse bei Amazon. Angestellte mit Schrittzähler! Fazit: Nix mehr da kaufen!

In der Süddeutschen vom Samstag stand ein Artikel (auch online), der einen wahrlich das Grausen lehrt. In den Lagerhallen in Graben werden Mitarbeiter zu zwanzig Nachtschichten hintereinander verdonnert – wenn sie das nicht wollen, sagt man ihnen, sie könnten gehen. Weiter berichtet der Artikel davon, dass in die Scanner Schrittzähler eingebaut sind, die auch die Schrittlänge messen, Wer zu wenige oder zu kurze Schritte macht oder überhaupt mal steht, wird angemacht. Das ist schon mal ein Vorblick auf Big Data am Arbeitsplatz und in meinen Augen ein Fall für den Bundesdatenschutzbeauftragen, den man darauf vielleicht mal hinweisen könnte (siehe Link). Demnächst wird noch die Atemfrequenz oder der Puls kontrolliert, und wessen Puls unter dem fürs Alter angemessenen höchsten Puls liegt, wird der Faulheit bezichtigt, weil er oder sie nicht schnell genug rennt.
Und das alles begtündet Amazon in Stellungnahmen in eben jenem Artikel immer mit dem Wunsch des lieben Kunden, alles so schnell und billig wie möglich zu kriegen. Nun, Amazon, ich (als Inhaberin eines gelegentlich genutzten Amazon-Accounts) gelobe hiermit feierlich: Ich werde so lange nichts mehr bei Dir und Deinem krakenartigen Imperium ordern, bis sich die Verhältnisse in Deinem Reich durch glaubhafte Zeugen belegt grundsätzlich geändert haben. Und ich bin herzlich froh, dass ich Dich nicht auch noch durch den regelmäßigen Bezug irgendwelcher digitalen Güter aus Deinem eReaderStore in der Auffassung unterstütze, Du machtest es mir als Kunden mit solchen Umgangsformen recht. Nein, tust Du nicht! Und ich würde mich freuen, wenn noch mehr Leute auf einen ähnlichen Gedanken kämen. Das wär doch mal was.

Schuss vor den Bug vor Big-Data-Fetischisten

Wer meint, in Zukunft alles und jedes beliebig auswerten zu können, um anschließend die Menschheit beispielsweise noch mehr als bisher mit Werbung überschütten zu können oder das persönliche Verhalten bis in die Haarwurzeln des Einzelnen vorauszusagen, um damit schlicht mehr Geld zu verdienen, hat zumindest hierzulande jetzt einen fetten Schuss vor den Bug bekommen. Wer sich für die Details interessiert, klicke hier und lese, was unser Bundesdatenschutzbeauftragter Dr. Peter Schaar zu diesem Thema zu sagen hat. Merke: Zur Ökologie in der IT gehört auch die „Ökologie des Geistes“!