Mehr Schadensvermeidung und Technologie statt Klimaschutz allein?

Während in Kanada die Wälder brennen und in Deutschland die Gasheizungen nicht mehr brennen sollen, während die Meteorologen wieder mal das heißteste Jahr ever prognostizieren, habe ich ein Buch gelesen, dessen Perspektive sich stark von der Literatur unterscheidet, die mir bislang in die Finger gekommen ist. Deshalb wird es hier rezensiert.
„Der Mensch-lima-Komplex“, ist geeignet, manche Hoffnungen und Illusionen hinsichtlich des Klimaschutzes, aber auch hinsichtlich unserer Vorstellungen von Wetter und Klima, zu erschüttern. Ich musste mich ein paar Mal schütteln, als ich es gelesen habe, aber die Gedanken darin haben einiges für sich. Der Autor ist kein Klimawandelleugner. Er war bis 2015 Leiter des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Von daher finde ich schon, dass die Denkanstöße, die von Storch liefert, wert sind, angehört zu werden.
Von Storchs Buch liefert zunächst Grundlagenwissen zu den Begriffen Wetter und Klima, um dieses Wissen dann auf die Diskussion über den Klimawandel anzuwenden. Dabei bezieht er sich häufig auf die Forschungen von Nobelpreisträger Klaus Hasselmann.
Der hat seinen Nobelpreis bekommen, weil er eine Formel dafür entwickelt hat, wie man hinsichtlich Wetterkapriolen den menschengemachten Anteil vom teils ziemlich beträchtlichen statistischen Rauschen der Wetterbedingungen trennt – der Anfang der inzwischen zum Star aufgestiegenen Zurechnungsforschung.
Außerdem diskutiert von Storch, wie gesichertes Wissen überhaupt zustande kommt, insbesondere in der Klimaforschung. Und stellt fest, dass es dort durchaus nicht anerkannte Konzepte gibt. Zum Beispiel die sogenannten Kippunkte, die einem in jedem zweiten Artikel um die Ohren gehauen werden. Sie wurden nicht in die wissenschaftliche Konsensfassung des letzten Klimaberichts aufgenommen, weil es für die Theorie, so anschaulich-schauerlich sie auch sein mag, (noch?) keine ausreichenden Belege gibt.
Zur Erinnerung: Die Theorie von den Kipppunkten besagt, dass beim Überschreiten bestimmter Schwellen hinsichtlich der Erderwärmung unwiderrufliche Änderungsdynamiken losgetreten werden, die zum Untergang oder jedenfalls zur schwersten Beeinträchtigung der menschlichen Zivilisation führen werden. Das kann man glauben, muss es aber jedenfalls heute noch nicht. Das bedeutet nicht, dass deswegen Klimaschutz unnötig wäre, aber wenn man die Idee der Kipppunkte als bisher unbestätigtes Konzept betrachtet, nimmt das etwas Hysterie aus der Debatte.
Weiter macht von Storch klar, dass wir, um es mal ganz deutlich zu sagen, uns das 2-Grad-Ziel global betrachtet in die Haare schmieren können, weil fast niemand genug tut, und weil man dies von den sich entwickelnden Ökonomien im Süden auch gar nicht erwarten könne, jedenfalls nicht über irgendwelche Verzichtlogiken.
Daraus folge, so Storch, unsere Gesellschaft insgesamt sehr viel mehr für Klimafolgenvermeidung tun muss, statt ausschließlich auf Klimaschutz zu setzen. Das mache, so der Autor, Klimaschutz mitnichten unnötig, beides sei unverzichtbar, wie er immer wieder betont. Da man aber vorhersehbarerweise die gesetzten Klimaziele nicht erreichen werde, sei es schlicht fahrlässig, nicht mehr Vorbeugung zu betreiben. Nichts anderes, so Storch, trieben ja die kontinentaleuropäischen Nordseeanrainer schon seit Hunderten von Jahren.
Schließlich sagt von Storch, dass des Westens Beiträge zu Klimaschutz und Klimafolgenschutz nicht darin bestehen könnten, dem Süden vorzuschreiben, wie er sich zu entwickeln oder zu verhalten habe. Das sei schlicht Neokolonialismus. Sondern ein sinnvoller Beitrag der industrialisierten, reichen Länder könne beispielsweise darin bestehen neue Technologien zu entwickeln und hier zu erproben, um sie dann in der ganzen Welt zu skalieren. Freiwillig seitens der Nutzer, freilich. Beispiele? Rinder oder Reis zu züchten, der weniger Methan ausgasen (Methan aus Reisfeldern ist der wichtigste Emittent dieses höchst klimawirksamen Gases, Rinder leben zu allergrößten Anzahlen vollkommen außerhalb unseres politischen Einflussbereichs wie der zur Ernährung der asiatischen Bevölkerung unentbehrliche Reis).
Sprich: Mehr Technologie und weniger Verzicht. Sowie Verzicht darauf, den Aufbau und das Ausprobieren neuer Technologien immer wieder durch Gerichtsklagen nach dem Motto „Not in my backyard“ zu verhindern. Das könnte auf Dauer etwas bringen. Die Einhaltung des 2-Grad-Zieles allerdings wohl kaum.

Bibliographie
Von Storch, Hans: Der Mensch-Klima-Komplex. Was wissen wir? Was können wir tun? Zwischen Dekarbonisierung, Innovation und Anpassung. Broschiert, zahlreiche s/w und farbige Abbildungen, 192 Seiten. Dietz-Verlag, Bonn, 2023. ISBN 978-3-8012-0659-8, 19,90 €