Anlässlich der ITC4S-Konferenz in Zürich im Februar hielt Daniel Spreng, ETH Zürich, einen interessanten Vortrag über den Zusammenhang zwischen Energie, Zeit und Information, dessen Inhalt letztlich einen Erklärungsansatz liefert, warum der IT-Einsatz bisher eher keine Nachhaltigkeitseffekte gebracht hat. Sprengs Idee, die er ausdrücklich nicht als ausgereifte Theorie verstanden wissen möchte, sondern als eine Anregung zum Nachdenken in eine andere Richtung in Kurzform: Nutzt man IT, um Energie zu sparen, wird häufig mehr vom selben gemacht, was dann im Endeffekt wieder zu Gleich- oder Mehrverbrauch (sogenannter Rebound) führt. Nutzt man IT zur Zeitersparnis, wird damit rationalisiert – es fallen Arbeitkräfte weg, aber grüner wird der Produktionsvorgang dadurch nicht unbedingt. Nur der IT-Einsatz, um Prozesse intelligenter zu machen, ohne vorrangig auf Mehrproduktion, oder reine Zeitersparnis zu schielen, könne letztlich die „grünen“ Versprechen der IT einlösen. Darüber sprach nachhaltige IT am Telefon mit Daniel Spreng.
nachhaltige it: Herr Spreng, Ihre Idee ist bestechend: Man muss Prozesse nur intelligenter machen, dann werden sie nachhaltiger. Allerdings habe ich in Ihrem Vortragsskript keine Beispiele dafür gefunden, und bisher wurden die Nachhaltigkeitseffekte der IT meist durch Rebound-Effekte wieder aufgefressen. Gibt es Beispiele für das, was Sie meinen?
Spreng: Natürlich. Ich kenne sie besonders gut aus der Textilindustrie, habe sie aber in dem Skript nicht extra aufgeführt. Man kann zum Beispiel Textilmaschinen so fahren, dass ein extrem strapazierfähiger Faden entsteht, den man schon sehr beanspruchen muss, damit er reißt. Oder man kann die Textilfarben hundertprozentig exakt dosieren. Ein Beispiel sind Unterhosen: Derartige Produkte einiger Schweizer Marken sind teilweise sehr teuer, weil aus erstklassigem Material und erstklassig verarbeitet. Dafür hat man dann aber auch lange Freude an ihnen. Energieersparnis hat übrigens viel mit Nachhaltigkeit zu tun, wenn die Ersparnis auf der Ebene der Volkswirtschaft stattfindet. Energieersparnis auf technischer Ebene hat aber oft wenig mit Nachhaltigkeit zu tun. Es wird oft dann, wenn auch effizient, viel mehr produziert.
nachhaltige it: In der aktuellen Grünen-Studie zur Obsoleszenz (nachhaltige IT berichtete ausführlich) wurden allerdings jämmerlich kurze Fäden in Textilien als Beispiel für willkürliche Verschleißproduktion aufgeführt.
Spreng: Ressourcen- und energieintensive Produktion lohnt sich wegen falscher Anreize. So lange es billiger ist, Rohstoffe zu verschwenden als Produkte intelligent und langlebig zu produzieren, wird IT immer zuerst dafür eingesetzt werden, lediglich Zeit oder Energie am einzelnen Produkt zu sparen, statt intelligente Prozesse für mehr Nachhaltigkeit einzusetzen.
nachhaltige it: Wie könnten denn richtige Anreize aussehen?
Spreng: Die Ideen dazu gibt es schon lange: Man müsste einfach statt Arbeit, also Lohnsteuer, den Ressourcenverbrauch besteuern in Form einer Ressourcensteuer, die desto höher ist, je mehr an Rohstoffen und Energie in jedem Produkt steckt. Dann würden sich Reparaturen plötzlich ganz anders lohnen, der gesamte Markt würde sich verwandeln. Und die Mehrheit der Leute hätte,weil die Lohnsteuer ja wegfällt, mehr Geld in der Tasche, um die teureren Produkte auch zu kaufen.
nachhaltige it: Das hat dann aber mit IT nichts mehr zu tun, sondern ist letztlich Wirtschafts- und Steuerpolitik. Ist so eine Politik denn durchsetzbar?
Spreng: Da muss das Klima wohl noch etwas mehr verrückt spielen, aber deswegen ist die Aussage ja nicht falsch. In der Schweiz, wo wir über viele politische Fragen als Bürger abstimmen, gab es vor einigen Jahren einmal den Vorschlag, die Lohnsteuer durch eine Ressourcensteuer zu ersetzen. Diese Abstimmung fand zwar statt, weil dafür genügend Leute den Vorschlag unterstützten, doch bei der eigentlichen Volksabstimmung haben vergleichsweise wenige Menschen zugestimmt, ich erinnere mich an eine Rate um die dreißig Prozent.
nachhaltige it: Es gibt ja auch die These, die etwa Tim Jackson und Niko Paech vertreten, dass man ein ganz neues, weniger an Massenproduktion von Industriegütern orientiertes Wirtschaftssystem braucht, um die Nachhaltigkeitsfrage zu lösen – ganz unabhängig vom IT-Einsatz. Denn wenn weniger Güter produziert würden, weil sie länger halten und reparabel sind, werde es auch weniger Erwerbsarbeit geben, weshalb insgesamt weniger Geld da wäre und aus diesem Grund wieder mehr selbst gemacht oder im Wege der Nachbarschaftshilfe erledigt werden müsste, zum Beispiel Teile der sogenannten häuslichen Dienstleistungen.
Spreng: Daran glaube ich nicht. Ich glaube, wenn man die Wirtschaft stärker auf Ressourcenschonung ausrichten würde, würde trotzdem genügend Wertschöpfung, beispielsweise im Bereich der Reparaturdienste, entstehen, um genügend Beschäftigung zu schaffen. Die Werte, mit denen die oben genannten Leute ihre Ideen unterfüttern, sind allesamt im heutigen Paradigma der ressourcenintensiven Massenproduktion gewonnen und wären unter einem neuen Paradigma so gar nicht mehr anwendbar, deshalb halte ich die Schlussfolgerungen dieser Skeptiker nicht für zwingend.
nachhaltige it: Hängt die mangelnde Nachhaltigkeit nicht auch damit zusammen, dass Geld, zum Beispiel in Form von Managementgehältern oder Shareholder Value, so ziemlich der einzige Maßstab war, an dem sich wirtschaftliches Handeln in den letzten drei Jahrzehnten ausgerichtet hat?
Spreng: Das ist schon richtig. Geld und Macht. Man braucht auch mehr Orientierung am Gemeinsinn, um die Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen. Das ändert aber nichts an meiner Vorstellung, dass sich dies auch im Rahmen einer Marktwirtschaft realisieren lässt, wenn man die richtigen Anreize setzt. Neue Anreize müssen aber schon sein.
nachhaltige it: Herr Spreng, ich danke Ihnen für das Gespräch.