Nachdem der Erscheinungstermin der großen Grünen-Studie zur Obsoleszenz genau in meine Ferien fiel, hatte ich ja nun viel Zeit, die Berichterstattung dazu zu lesen. Mir ist aufgefallen, dass zwar die wichtigsten inhaltlichen Höhepunkte dargestellt wurden, dass aber – journalistisch durchaus korrekt – niemand so ganz tief in die Inhalte eingestiegen ist, und dass vor allem die politischen Anregungen nur selten referiert wurden. Das will ich nun hier nachholen.
Die drei Autoren gliedern ihre Studie in fünf Module: In Modul A finden sich Informationen zur Entstehung geplanter Obsoleszenz mit der zu diesem Thema verfügbaren Standardliteratur. Es wird klar, dass diese Methode nicht etwa naturwüchsig entstanden ist, sondern gezielt zur Gewinnerhöhung „erfunden“ wurde, nämlich vom automobilen Pleitegeier General Motors, der sich damit in der Zwischenkriegszeit gegen Ford durchsetzte. Zu den Fällen einer absichtlich eingebauten Sollbruchstelle, eines eingebauten Verfallsdatums oder Ähnlichem kommen die Fälle, in denen hektisches, rein kostengetriebenes Design mit dem Ziel ständig neue, und sei es auch äußerst unvollkommene Produkte auf den markt bringen, ordentliches, auf Langlebigkeit orientiertes Design verdrängt. Leidtragende des Ganzen sind in der Regel die Konsumenten, obwohl inzwsichen auch die Industrie, die mehr und mehr auf Standardbauelemente setzt, Probleme mit schlampig oder kurzlebig gebauten Chips bekommt.
Modul B, sozusagen der praktische Teil, bringt in Bild und Beschreibung Beispiele aus der Realität in unseren Produkten. Die gibt es überreichlich, angefangen bei zu schlappen Bauelementen, schlampig angesetzten Übertragungsdrähten, fest eingebauten Akkus, billigem Plastik, wo Metall dringend angebracht wäre (Waschmaschinen!), Verklebung von Einzelteilen, so dass sie sich nicht ausbauen lassen etc. Ein Blick in das Horrorkabinett schlechten Industriedesigns lohnt sich wirklich, schon um sich zu fragen, wie, außer aus reiner Profitgier, man auf solchen Unsinn kommen kann, zumal in einer Zeit, da die Ressourcen der Erde spürbar weniger werden. Oder würde jemand von Ihnen auf den Gedanken kommen, einen Pullover aus absichtlich verkürzten Fäden zusammenzurstricken, damit er nachher um so schneller wieder reißt? Dazu kommen noch weitere Methoden: falsche Reparaturangaben, Feuchtigkeitsssensoren in Handys, um Reparaturpflichten auszuhebeln, teure Standard-Kostenvoranschläge, ohne dass das System überhaupt angesehen wurde etc. sowie organisatorische Hemmnisse gegen Reparatur und Weiternutzung, indem zum Beispiel Spezialwerkzeug gebraucht wird oder nur Spezialpersonen Reparaturen durchführen dürfen.
In Modul C wird nach den Wirkungen der Obsoleszenz gefragt. Dabei zeigt sich, dass zumindest die Idee, Obsoleszenz nütze weiten Kreisen, an den Haaren herbeigezogen ist. Denn Arbeitsplätze, meist ein wichtiges Argument der stillschweigenden Schnellverbrauchs-Befürworter, entstehen deswegen zumindest hier überhaupt nicht, da die kapptgehenden Komponenten heute in der Regel in Fernost gebaut werden, aber viele Arbeitsplätze in Reparaturbereichen wegfallen. Ein persönliches Beispiel: Neulich versuchte ich, unseren Staubsauger reparieren zu lassen. Der einzige Betrieb, der das bisher immer machte (in der Millionenstadt München!), hatte gerade seinen letzten Techniker entlassen. „Staubsauger bringt keiner mehr, die werden immer gleich neu gekauft“, sagte die Mitarbeiterin ziemlich traurig. Was der Techniker jetzt macht, sagte sie nicht.
Die Studie kommt jedenfalls je nach der Menge der Konsumgüter, die Obsoleszenzprozessen unterliegen, zu dem Schluss, dass durch diese Prozesse allein in Deutschland zwischen 65 und 137 Milliarden Euro konsumptives Kapital durch nur wegen Obsoleszenz nötige Anschaffungen in die Taschen der Hersteller, die die Schrottgüter produzieren, fließt. Jedes Jahr fallen wegen Obsoleszenz zwischen 6,2 und 13,1 Millionen Tonnen Müll an. Drei bis sechs Müllverbrennungsanlagen werden nur wegen Obsoleszenz betrieben. Gäbe es keine Obsoleszenz, brauchte man außerdem zwischen 11 und 22 1-GWatt-Kraftwerke weniger.
Schließlich kommt das Handlungsprogramm, das Tips für Einzelpersonen, Zivilgessellschaft, Arbeitnehmer, Wirtschaft und Unternehmen, NGOs und Politik umfasst. Grundsätzlich regt die Studie an, sich an neue Trends weg von der Wegwerfgesellschaft (Entschleunigung, Wiederverwertung, Eigenreparatur, Wiederverkauf, kollektive Nutzung etc) zu orientieren, die ohnehin vorhanden sind. Außerdem sei es nötig, die Debatte vollkommen neu zu justieren. Wegwerfen und neu kaufen muss seinen hippes Image wieder verlieren – schließlich ist diese Einstellung erst knapp fünf Dekaden alt. Die einzelnen Tips und Anregungen hier aufzuführen, wäre zu viel, ein Blick in die lange Liste lohnt aber auf jeden Fall.
Modul E, wo es um politische Ansätze auf europäischer Ebene geht, ist das eigentlich spannendste, aber gleichzeitig wurde darüber am wenigsten geschrieben. Hier geht es darum, was heute unter Ausschöpfung der Möglichkeiten der Ökodesign-Richtlinie (2009/125/EC), der Energieverbrauchskennzeichnungs-Richtlinie (2010/30/EU) und der Elektro- und Elektronik-Aktgeräte-Richtlinie (2002/96/EU) eigentlich schon möglich wäre, aber nicht getan wird. Die besten Ansätze bietet nach Meinung der Studie die Ökodesign-Richtlinie. Auch sie hat Lücken, beispielsweise beim produktorientierten Ressourcenschutz. Allerdings sieht die Studie den Hauptgrund dafür, dass die Studie bisher wenig Durchschlagskraft im Bereich Obsoleszenz entfaltet hat, daran, dass mögliche daran anknüpfende Regelungen einfach nicht gemacht wurden. Sehr interesssant ist auf auf Seite 92 ein Vorschlag für ein neues, allgemeines Produktlabel, das neben dem Energieverbrauch auch ökologischen Rucksack, vorgesehene Lebensdauer, Recyclingfreundlichkeit und Ökotoxizität angibt und so vergleichbar macht. Ich bin sehr gespannt, ob ich ein solches Label noch während meiner Lebensdauer an Produkten sehen werde. Was fest eingebaute Akkus angeht, setzt die Studie auf eine strengere Auslegung des ja bereits existierenden Elektrogerätegesetzes (ElektroG). Der Gesetzeswortlaut gäbe diese nämlich durchaus her.
Insgesamt lohnt es sich, diese Studie im Original zu lesen, denn wasn ich hier geschreiben habe, ist selbstverständlich nur eine sehr kurze Zusammenfassung. Das Papier ist der erste Versuch, auf politischer Ebene endlich etwas gegen die Obsoleszenz-Seuche zu tun, die nur wenigen Herstellern nutzt, aber vielen Menschen weltweit, unter anderem all denen, die früher ihr Geld mit Reparaturen verdienten, schadet – und den zukünftigen Generationen sowieso.