Auf dem Weg zu einer Philosohie der Infosphäre

Hier und da leuchtet einmal ein neues Weltverständnis auf, das die Infosphäre in den philosophisch-politischen Diskurs einbettet, das ist allerdings noch sehr selten der Fall. Zwei Schritte in diese Richtung sollen hier vorgestellt werden.
Einen hat Luciano Floridi unternommen. Floridi lehrt in Oxford Philosophie und Ethik der Information und ist Forschungsdirektor des Oxford Internet Institute, gehört also zu den Menschen, die tatsächlich Philosophie und Informationstechnik oder Internet in ihrem Wissen und Denken profund verbinden. Floridi begreift die allgegenwärtige Digitalisierung als echte Kulturrevolution, in dem Sinn, dass sie Denkstrukturen, Vorstellungsvermögen und Handeln der gesamten Menschheit tiefgreifend verändert. Floridi sieht dies als Chance, benennt aber auch Risiken, beispielsweise durch den hohen Energie- und Materialverbrauch informationstechnischer Systeme, deren neuartige Fähigkeit er darin sieht, dass sie Informationen nicht nur aufzeichnen oder darstellen, sondern auf neuartige Weise vernetzen und verarbeiten können. In zehn Kapiteln beschäftigt sich Floridi mit zehn Dimensionen und der Auswirkung der Infosphäre auf sie: Zeit, Raum, Identität, Selbstverständnis, Privatsphäre, Intelligenz, Handeln, Politik, Umwelt und Ethik. Wer eine anspruchsvolle Anregung dafür sucht, den Platz in der Infosphäre in der Welt zu verstehen, ist bei Floridi richtig. Ganz am Ende plädiert der Wissenschaftler dafür, die Infosphäre als einen „gemeinsamen geteilten Raum“, sprich: als Commons, zu betrachten, „die zum Nutzen aller erhalten werden muss“.
Ein zweiter Versuch, in Richtung einer soziologisch-politisch-philosophischen Durchdringung der Informationssphäre voranzuschreiten, ist eine neue internationale wissenschaftliche Zeitschrift, Digital Culture and Society, deren erste Ausgabe jetzt erscheint. Herausgeber der ersten Nummer sind Ramón Reichert und Annika Richterich, beides Wissenschaftler, die sich im universitären Umfeld mit dem Thema Digitalisierung und Gesellschaft befassen. In der ersten Ausgabe geht es um die Beeinflussung der materiellen Welt durch die digitale und umgekehrt sowie darum, welche Materialität die digitale Welt selbst besitzt. Darin finden sich Aufsätze zu einer neuen Techno-Ökologie, Analysen der Vorformatierung der Wahrnehmung digitaler Inhalte durch den verbreiteten ASCII-Code und den Touchscreen, eine Theorie vernetzter Städte, Reflektionen zu Software und Sprachwissenschaft, intelligenten Sensoren, die Beeinflussung menschlicher Handlungsmöglichkeiten durch digitale Technologie etc. Zwei ausführliche Interviews runden den Band ab. Allgemeinverständliches darf man nicht erwarten, Leser sollten wenigstens ab und zu soziologische oder philosophische Texte konsumieren, sonst dürften sie sich von der Komplexität der sprachlichen Darstellung, die die Kenntnis des Begriffsapparats der Disziplinen mehr oder weniger voraussetzt, überfordert fühlen. Jedem Text ist eine etwa halbseitige Zusammenfassung vorangestellt, wie in wissenschafltichen Publikationen üblich, folgt am Ende der Texte ein ausführliches Literaturverzeichnis. Die Zeitschrift erscheint in Englisch zweimal im Jahr, es gibt eine digitale und eine Print-Ausgabe.
Bibliographie: Luciano Floridi: Die 4. Revolution. Wie die Infosphäre unser Leben verändert. Gebunden, 318 Seiten, Suhrkamp-Verlag Frankfurt 2015. ISBN 978-3-518-58679-2, 29,95 Euro.
Ram´n Reichert, Annika Richterich (Hrsg.) Digital Meterial/ism. Volume 1, 2015, issue 1 der Zeitschrift Digital Culture Society, broschiert, 237 Seiten, Transcript-Verlag, Bielefeld, 2015. Print: ISBN 978-3-8376-3153-1/PDF-ISBN 978-3-8394-3153-5, 55 Euro/Jahr (2 Ausgaben) Bundle (Print und PDF: 60 Euro/Jahr.

Wie Smartphonesucht uns irre macht (Rezension)

Digital Burnout heißt ein neues Buch, das sich mit den Folgen der zu häufigen Smartphone-Nutzung für die Nutzer beschäftigt und zu wahrhaft erschreckenden Erkenntnissen kommt. Manche werden dei Menthal-App kennen. Die App kann man sich kostenlos ausf Smartphone laden, sie misst dann das Nutzungsverhalten, und wenn man es so bestimmt, werden die Daten auch in eine große Nutzerstudie einbezogen. Eines ihrer Ergebnisse, gewonnen aus der Auswertung der Daten von 250000 Nutzern: Alle 18 Minuten IM DURCHSCHNITT schauten die Smartphone-Besitzer, die eine Menthal-App nutzen und ihre Daten zur Verfügung gestellt haben, auf den Bildschirm. Das, so erklärt der Autor dann, ist schlimm, denn das menschliche Hirn ist entgegen dem gern gebetsmühlenartig wiederholten Gerede vom Multitasking eben nicht fähig, vieles parallel zu tun, sondern nur genau zwei Dinge. Tut man was Drittes, fällt das erste oder zweite raus, man vergisst es dann. Das liegt an der Architektur unseres Denkorgans, das Sachen, die wir uns kurzzeitig merken müssen, entweder in den rechten oder in den linken Frontallappen stopft und im Zweifel zwischen ihnen schnell hin und her schaltet, was manche mit echtem Multitasking verwechseln. Nummer Drei verdrängt dann den bisherigen Inhalt aus Frontallappen eins oder zwei. Außerdem habe die Forschung gezeigt, so der Autor, dass man zum vollen konzentrieren auf eine Aufgabe zehn Minuten braucht, und zum vollen Entspannen ebenfalls. Erst dann sit man entweder geistig voll auf hundert oder voll auf Null. Unterbrechungen führen dazu, dass die Frist wieder von vorn beginnt. Wer also alle 18 Minuten aufs Smartphone schaut, hat genau acht Minuten zeit, wirklich hochkonzentriert bei der Sache zu sein, was uns manchmal auch ein angenehmes Gefühl namens Flow beschere, so der Autor. Nicht gerade viel, um Höchstleistungen zu erbringen. Und wer noch öfter in den Bildschirm seines Smartphones starrt, kriegt noch weniger auf die Reihe. Davon muss es viele geben, denn 18 Minuten ist, wie gesagt, ein Durchschnittswert. Die Folge: Ständige Anspannung, das Gefühl, trotz ständigen Rotierens null zu Wege zu bringen, und im Endeffekt Erschöpfung. DIe Lösung fürs Problem: Meditation, Yoga, Smartphone-Diät – eine Art kalter Entzug in Eigenregie, die den Nutzer wieder zum Herren über sein Gerät macht statt umgekehrt. Obs funktioniert? Bald kommt sicher die nächste Untersuchung, die uns darüber Auskunft gibt. Liest sich jedenfalls gut und könnte helfen, wenn man selbst vielleicht schon denkt, dass da irgendwas nicht stimmt mit dem eigenen User-Verhalten. Wer das nicht glaubt, wird, wie alle Süchtigen, wahrscheinlich sagen, dass er oder sie das natürlich im Griff hat und eher noch eine App runterladen oder ein Whatsapp schreiben, als das Buch zu lesen.
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Bibliographie: Alexander Markowetz und Ann-Kathrin Schwarz: Digitaler Burnout. Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist. Droemer-Verlag, München, 2015. 224 Seiten, gebunden, 19,99, eBook 17,99, ISBN 978-3-426-27670-9

Das Internet ist nicht die Lösung, sondern selbst ein problem (Rezension)

Das Internet läutet eine neue Epoche ein, in dem alle Probleme der Menschheit mit digitalen Mitteln gelöst werden. Diesen oder einen ähnlichen Eindruck gewinnt man manchmal, wenn man den Verlautbarungen führender IT-Firmen zuhört. Auf wundersame Weise soll eine Mixtur aus Cloud, Mobile, Sozialen medien und Big Data eine ganz neue digitale Welt schaffen, die die großen Menschheitsprobleme der Jetztzeit wie Umwelt, Arbeitslosigkeit oder die Kluft zwischen Arm und Reich auf wundersame Weise irgendwie löst oder jedenfalls gewaltig zu ihrer Lösung beiträgt.
Dass die medaille auch eine ganz andere Seite hat, damit beschäftigt sich in einem aktuellen Buch der ehemalige Silicon-Valley-Gründer Andrew Keen.
Keens Diagnose ist klar und unmissverständlich: Das Internet, wie es heute ist, und die wenigen Firmen, die es dominieren (Google, Facebook, Amazon, Uber…) dienen mitnichten der Gesellschaft und ihrer Weiterentwicklung. Sie verteilen Reichtum von unten nach oben um, hebeln jedwede soziale Ausgleichsmechanismen in Gesellschaften aus, stürzen ganze Berufsstände – zunehmend nicht nur Handlanger wie etwa „Angie die Sätzerin“, sondern auch alles, was sich unterhalb der Ebene von Entwicklern, Erfindern und Beratern befindet – in die Arbeitslosigkeit, bereichern sich an kostenlos an den Daten ihrer Nutzer und lassen sich anschließend die aus den kostenlos und dummerweise auch noch freiwillig herausgerückten Datenschätze anschließend von den Ausgeplünderten auch noch teuer bezahlen – zum Beispiel in Form höherer Versicherungstarife für gesundheitlich Anfällige. Die mehr oder minder psychopathisch agierenden Manager der Internet-Giganten sind laut Keen mitnichten Humanisten, sondern sehen den Mitmenschen (ausgenommen die eigenen Entwickler) letztlich als Sand im Getriebe, den man sich am besten vom Leib hält und, falls noch nicht ersetzbar, zu Minimalkonditionen beschäftigt wie Mr. Bezos die Mitarbeiter seiner Auslieferungslager – die sollen ja übrigens bald auf Roboter als Personal umgestellt werden, weil die weder krank werden noch streiken. Disruption heißt das Gebot der Stunde, um jeden Preis und mit ungewissem, für viele möglicherweise existenzbedrohendem Ausgang. Nur eine Gruppe steht derzeit als Gewinner fest: die großen Internet-Unternehmen.
Keens Rezept zur Veränderung der Zustände ist genau so eindeutig: Er setzt nicht, wie etwa Glenn Greenwald, auf Privataktivitäten wie das Verschlüsseln von E-Mails. Vielmehr sei Regulierung erforderlich, schnellstens und durchgreifend. Dafür, dass solche Schritte in den USA mitnichten außergewöhnlich sind, weist Keen ebenfalls hin – schließlich wurde auch der übermächtige IT-Gigant AT&T zerschlagen.
Wer allerdings das undurchdringliche Beziehungs- und Beeinflussungsgeflecht zwischen Nachrichtendiensten, Regierungen und der IT-Branche, das sich in den USA mittlerweile entwickelt hat, durchschlagen soll, sagt Keen nicht. Dabei wäre dies die eigentlich interessante Frage – auch hier in Deutschland, wo wohl in den vergangenen Jahren die Regierung klammheimlich mit den oben genannten Akteuren kooperierte, um die Unternehmen des eigenen Landes digital auszuplündern, ein Schelmenstück ganz besonderer Güte.
Das Buch liest sich trotzdem gut und macht klar, dass es Zeit wird, den Cyberspace nicht mehr als Spielwiese für allerlei Menschheitsretter zu betrachten, sondern ernst zu nehmen. Auch und gerade in seinen negativen, bedrohlichen Auswirkungen.

Bibliographie: Andrew Keen: Das digitale Debakel. Warum das Internet gescheitert ist – und wie wir es retten können. DVA-Verlag, München, 2014. Gebunden, 318 Seiten. ISBN 978-3-421-04647-5, 19,99 Euro.

Übrigens: Kaufen Sie Ihre Bücher bei der Buchhandlung um die Ecke. Das hilft Ihrer Stadt (Gewerbesteuer!), Ihrem Land (Einkommennssteuer!) und natürlich dem Buchhändler und seinen Angestellten.

Das Internet ist kein Naturgesetz: Wider den Daten- und Perfektionswahn (Rezension)

Kritik an der Informationstechnik zu üben, ist derzeit in. Allerdings geht dabei kaum jemand so profund und philosophisch zu Werke wie Evgeny Morozov. Der Autor, dessen erstes Buch „The digital Delusion“ sich mit dem überschätzten Einfluss sozialer Medien auf politische Prozesse und Umwänzungen befasste, stellt in diesem Buch die Grundlagen der heutigen IT-Philosophie in Frage.
Dabei wendet er sich gegen zwei von ihm verortete „ismen“: Den Internetzentrismus und den Solutionismus. Unter Internetzentrismus versteht der Autor die von der IT-Branche erzeugte Illusion, das Internet entfalte sich nicht etwa in seiner existierenden Form, weil dies politisch und technisch so entschieden wurde (was bedeuten würde, dass man es genau so gut hätte anders gestalten können und in Zukunft wird anders gestalten können). Sondern dass es vielmehr inhärenten, gewissermaßen naturgesetzlichen Eigenheiten folge, auf die nicht nur Anwender, sondern auch Entwickler und die Politik im Grunde keinen Einfluss haben. Einem so übermächtig verstandenen Internet könne sich die Gesellschaft nur anpassen, was aber in Wirklichkeit die Anpassung der großen Mehrheit der Menschen an die gut hinter angeblichen Eigengesetzlichkeiten verborgenen Interessen einiger weniger Branchen bedeute.
Stattdessen plädiert Morozev dafür, das Internet an sich als Gestaltungsraum zu betrachten. Nicht nur Content, sondern auch sein Funktionieren, seine Weiterentwicklung und seine Nutzungsregeln seien mitnichten quasi eigengesetzlich vorgegeben, schon gar nicht von gewissermaßen zwingenden inhärenten Eigenschaften dieser Technik selbst.
Seine zweite Kritik richtet sich gegen den Solutionismus, worunter er das Bestreben versteht, alle möglichen Probleme des sozialen Lebens durch technologische Maßnahmen in eine – zumindest von den Architekten dieser Maßnahmen erwünschte – Richtung zu lenken und letztlich möglichst perfekt zu „lösen“. In diese Rubrik fallen auch alle jene Bestrebungen, mit Hilfe immer intensiverer Datenerhebungen (Big Data) noch das letzte Vermarktungspotential aus den einzelnen potentiellen Kunden herauszuquetschen oder Risiken beim Geschäftsabschluss gegen Null zu bringen, indem man potentiell unprofitable Kunden erst gar nicht mit dem Produkt, etwa einer Versicherung, bedient.
Auch die Politik ist von derartigem Denken nicht gefeit – wer Bürger darauf dressiere, dass jedes halbwegs sinnvolle bürgerschaftliche Verhalten mit Sternchen, Pünktchen oder Digital-Blümchen belohnt wird wie das Gamifizierungs-Ansätze teilweise vorsehen, müsse sich nicht wundern, wenn der so dressierte Staatsbewohner bald gar nichts mehr einfach so, aus innerem Antrieb tue, was nicht nur ihm oder ihr selbst nutzt. Wer mit Hilfe digitaler Tools die Umgebung gewissermaßen lückenlos regle, müsse am Ende damit rechnen, dass alle sozialen Instinkte entfallen, sobald eine Lücke in der Regelungsdichte auftritt. Schließlich funktioniere soziales Verhalten bisher durch Erziehung und sozialen Umgang und sei wie mangelhaft auch immer in den meisten Individuen dauerhaft verankert, weshalb Menschen auch ohne „Gewinn“, Preis“ oder „Strafe“ für die Gesamtheit nützliche Dinge täten. Dies, das bestreitet Morazev nicht, widerspreche zwar dem Ideal des Homo Oeconomicus, das aber Morazev wie inzwischen viele als ohnehin zu eindimensional ablehnt. Statt etwas endgültig mit wissenschaftlichen oder pseudo-wissenschaftlichen Methoden zu „lösen“, gelte es bei vielen Themen, die sich darum rankenden gesellschaftlichen immer wieder auszufechten. Dies ist nach Meinung des Autors auf immer unvermeidlich, solange man nicht alle Menschen in einer Gesellschaft komplett gleichschaltet. Seien doch Diskurs, Konflikt und das mühselige Herantasten an eine Lösung inklusive ihrer immer wieder erfolgenden Veränderung nach erneuten Diskursen gerade das, was demokratische Gemeinwesen ausmache und ausmachen müsse.
Ins Gericht geht der Autor schließlich auch mit den digitalen Methoden völliger Selbstentblößung, wie sie in sozialen Medien geschieht, und mit der damit allzu häufig verbundenen Forderung nach „Authentizität“. In verschiedenen Sektoren seines Lebens verschiedene Rollen spielen zu können und zu dürfen, nicht jedem alles und jederzeit mitzuteilen, sei nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für Politik und eine freie Gesellschaft unabdingbar – ganz abgesehen von den gigantischen Mengen an Belanglosigkeiten, für die heute Elektrizität und Speicherplatz verschwendet werden.
Morazev präsentiert sich bei allen Vorbehalten nicht als ein Techno-Kritiker, der am liebsten bei Wasser, Brot und keinem Strom zurück in den Urwald will. Technologie sei durchaus für den Fortbestand der heutigen menschlichen Zivilisation unvermeidlich. Es komme aber darauf an, unter welchen Prämissen, wie und von wem sie gestaltet werde. Hier plädiert er dafür, sich von der Vorstellung, eine Technologie müsse jedes Problem so lösen, dass das Problem für den Anwender gewissermaßen unsichtbar wird (aber möglicherweise durchaus noch immer existiert), zu verabschieden. Technologie müsse in ihrer Gestaltung vielmehr so aussehen, dass sie gesellschaftliche Denkpotentiale aktiviere, mithin tiefgehendes Nachdenken über die Natur von Problemen, den zugrundeliegenden Paradigmen und damit gesellschaftliche Lösungsansätze fördere.
Dafür nennt der Autor als Beispiel die Klimadebatte: Lösungen, die dem Anwender eines Smart Meters in einer westlichen Großstadt vormachten, etwa durch schicke Vergleiche mit einer Durchschnitts-Verbrauchskurve, wenn er nur gleich viel oder etwas weniger Strom wie der durchschnittliche Stadtbewohner verbrauche, habe er seinen Teil zur Lösung des Problems bereits beigetragen, führen seiner Meinung nach am Problem vorbei.
Vielmehr brauche man „widerständige“ oder „reibungsreiche“ Technik. Als Beispiel berichtet er über ein System, bei dem Pflanzen (also CO2-Speicher) über Sensoren und Kabel mit stromverbrauchenden Geräten verbunden sind. Verbraucht der Anwender mehr Strom als seine Pflanzen gleichzeitig CO2 aufnehmen können, führt das nach den einprogrammierten Algorithmen nach einer Weile zum Tod der jeweiligen Pflanzen. Durch solche Systeme werde das eigentliche Problem nicht vor dem Anwender verschleiert, sondern ihm erst in aller Deutlichkeit bewusst gemacht. Derzeit entstehen solche Lösungen allerdings vor allem in Designkursen und an Kunsthochschulen, und ob man selbst erwägen würde, sich ein solches System im Zimmer zu installieren, mag dahingestellt bleiben.
Jedenfalls führt die Lektüre von „Smarte neue Welt“ dazu, dass man mit einigen der digitalen Segnungen der Jetztzeit etwas weniger selbstverständlich umgeht und in Alternativen zum Bestehenden denkt. Bestes Beispiel dafür, dass man sich auch vom Glauben an die Eigengesetzlichkeit des Internet lösen kann, ist die jüngst publizierte Internet-Grundrechtscharta, die sich soeben Brasilien gegeben hat. Sie macht Schluss damit, unbegrenzten Datenzugriff oder mangelhaften Datenschutz als Unvermeidlichkeiten hinzunehmen und fordert statt dessen, dass die Technologie des Internet so gestaltet wird, dass sie mühseig errungene bürgerliche Freiheiten nicht per Knopfdruck zunichte macht. Es wird spannend, ob der brasilianische Angang tatsächlich Erfolg zeitigt. Wenn ja, wäre das sowohl ein Beleg für die Stimmigkeit von Morazevs Ideen als auch ein Hoffnungsschimmer für die sogenannten bürgerlichen Werte – im Endeffekt ein Resultat der britischen Magna Charta und der französischen Revolution. Beides hat zu viele Opfer gekostet, als dass man ihre Ergebnisse einfach so wieder aufgeben sollte. Schließlich sind wir noch immer damit beschäftigt, Werte wie Freiheit (des Menschen, nicht des Internet) und Gleichheit, Diskurs und Demokratie auf der Welt zu etablieren.

Bibliographie: Evgeny Morozov: Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen. Gebunden, 655 Seiten, Vlessing-Verlag, München, 2013. ISBN 978-3-89667-476-0, 24,99 Euro.

Rezension: Offline

Offline! von Thomas Grüter befasst sich, so der Untertitel mit dem „unvermeidlichen Ende des Internets“ und dem „Untergang der Informationsgesellschaft“. Das ist natürlich ein Thema, das bei Nerds nicht unbedingt beliebt sein dürfte, aber dennoch interessant. Grüter ist Arzt und seziert die Informationsgesellschaft wie ein guter Pathologe bis auf ihre Bestandteile: Rechenzentren, Server, Speichersysteme etc. Die, so der einleuchtende Grundgedanke seines Buches, halten nicht ewig (wie etwa die Römerstraßen, die man teilweise noch heute benutzen kann), sondern höchstens ein, zwei Jahrzehnte, die neueste Eintagsfliege der Technologie, das Smart Mobile Device, sogar nur noch ein bis drei Jahre, ehe es wegen nicht mehr passender Software ausgetauscht werden muss. Das sei zum einen wegen des heraufdämmernden Ressourcenmangels und der Konzentration wichtiger Ressourcen in wenigen Händen, zum anderen wegen auf wenige Länder konzentrierten Fertigungskapazitäten der wichtigsten Komponenten, ein echtes Problem. Man stelle sich vor, in Südostasien fingen Nord- und Südkorea oder Japan und China an, aufeinander einzudreschen – schon wäre unter Umständen viel Hightech nicht mehr verfügbar, weil die dafür nötigen Komponenten auf den Märkten einfach nicht da wären und der Aufbau alternativer Fertigungsanlagen dauert. Können die kurzlebigen Systeme aber nicht schnell genug aktualisiert werden, wird das Internet im Lauf der Jahre löchrig und zerfällt am Ende. Auch dem mittlerweile immer stärker digitalisierten Wissen der Welt blüht im Fall einer länger anhaltenden Fertigungskrise Böses: Sobald das recht kurze Leben der digitalen Festplatte ausgehaucht sei, so der Autor, sei das Wissen selbst auch dahin, zumindest die Bestandteile davon, die nicht irgendwo noch in analog konsumierbarer Form vorhanden sind.
Das alles leuchtet ein und gibt zu heftigem Nachdenken Anlass. Die Gegenmittel, die Grüter vorschlägt, sind teils relativ realistisch – nämlich der Aufbau global verteilter Fertigungskapazitäten. Gegen den Ressourcenmangel empfiehlt er den Aufbruch in ferne Welten, da das Universum uns offen stünde. Schöne Aussicht, wäre da nicht die im Vergleich zu kosmischen Reisedistanzen doch recht begrenzte Lebensdauer des Homo Sapiens, die kaum je ausreichen dürfte, andere Sterne zu erreichen oder gar mit dem menschlichen Spezies zu bevölkern. Das wird wahrscheinlich schon mit unserem kosmischen Nachbarn Mars kaum in nennenswertem Umfang gelingen. Wir sollten derartige Kleine-Jungen-Träume durchaus in die Mottenkiste verbannen und uns lieber darauf besinnen, wie wir mit den vorhandenen Ressourcen sinnvoll umgehen, meint die Autorin dieser Rezension. Denn selbst wenn sich die Sonne in 500 Millionen Jahren aufblähen wird, hat die Menschheit hier noch rund 17 Millionen Menschen-Generationen zu je dreißig Jahren. Wäre doch schade, wenn wir – für IT oder sonstwas – so wenig pfleglich mit dem Planeten umgingen, dass davon nur ein Bruchteil tatsächlich stattfindet und dann wieder die Amöbe oder das Insekt die Regie übernimmt, nur weil wir den Hals nicht voll genug kriegen können. Ansonsten aber eine durchaus spannende Lektüre.

Bibliographie:
Thomas Grüter: Offline! Das unvermeidliche Ende des Internets und der Untergang der Informationsgesellschaft. Gebunden, 266 Seiten, Springer Spektrum, Berlin – Heidelberg 2013. ISBN 978-3-642-37736-5, 19,99 Euro

Buchrezension: Die Stadt von Morgen – Fraunhofer liefert Ideen

Ein neues Buch, das im Hanser-Verlag erschienen und von Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofergesellschaft, und der Physikerin und Wissenschaftsjournalistin Brigitte Röthlein gemeinsam herausgegeben wurde, beschäftigt sich mit Lösungen für die „Morgenstadt“, also das Leben in den Städten, die in Zukunft die Mehrheit der Menschen beherbergen werden. Das anspruchsvoll aufgemachte, fest gebundene Buch beschreibt in übersichtlich gegliederten Kapiteln mit Überschriften wie Energie, Wasser, Bauen und Wohnen, Ernährung und Gesundheit, Mobilität, Sicherheit, Arbeitswelt, Ver- und Entsorgung, Kommunikation sowie einem einleitenden und einem zusammenfassenden, abschließenden Abschnitt, welche Ansätze in den einzelnen Fraunhofer-Instituten und auch anderswo entwickelt werden und wo es schon vielversprechende Beispiele gibt. Das Buch liest sich anregend und spannend, zumal es in einer Sprache abgefasst ist, die auch viele Laien ohne naturwissenschaftliche Ausbildung wahrscheinlich verstehen werden.
Auch wenn nirgends behauptet wird, die Umstellung auf die Lebensformen und Technologien der Morgenstadt sei ein Spaziergang, ist das Vertrauen der Autoren in Technologie dabei relativ grenzenlos. Und tatsächlich lesen sich die Vorschläge, die sie für teils sehr knifflige Zukunftsprobleme entwickeln oder darstellen, sehr vielversprechend. Durchaus nicht alles mutet dabei so vertraut an wie die Beschreibung der nun schon beinahe zum Gemeinplatz werdenden „Smart Grids“, also des intelligenten, mit Kommunikationstechnik durchsetzten, Energienetze. Sehr interssant sind beispielsweise die Vorschläge zu den Themen Wasser, Ernährung und Gesundheit, denn sie zielen auf mehr Autonomie von Städten und einzelnen Haushalten – beispielsweise Grauwassergewinnung in hauseigenen Kläranlagen und Regenwasser-Auffangsystemen, Rückgewinnung des dringend als Dünger benötigten Phosphor aus dem Abwasser, Trinkwassergewinnung durch von hochkonzentrierter Salzlösung berieselte Türme und so weiter. Auch die Ideen zum Mobilitätssystem (Multi-Modalität, Verknüpfung der einzelnen Verkehrsträger etc.) lessen sich ganz wunderbar, und man kann nur hoffen, dass es gelingt, sie auch in Städten zu implementieren, die nicht so reich sind wie westeuropäische, asiatische oder US-amerikanische Metropolen.
Eine besonders wichtige Rolle spielt in vielen Bereichen die mehr oder weniger allerorten integrierte Kommunikationstechnologie, die in einem separaten Kapitel auftaucht, aber auch nahezu in jedem einzelnen anderen Kapitel eine wichtige Rolle spielt. Das freilich kann nicht nur positive Assoziationen wecken, denn die Vorstellung einer von Sensoren, Kameras und autonomen Kommunikationssystemen durchsetzten Welt, die munter Daten über alles und jedes funken, ist gewöhnungsbedürftig.
Allerdings hat das Buch an manchen Stellen auch Schwächen, die sich aus seiner Technologiefokussierung ableiten. Beispiel: Ressourceneinsparung. Hier bringt das Buch manche sehr plausiblen Lösungsvorschläge nicht. Beispielsweise wäre die mit Anbstand größte vorstellbare Einsparung wertvoller Ressourcen einfach dadurch realisierbar, dass Geräte, Kleidung etc. für einen längeren Gebrauch (nicht nur für ein leichtes Recycling) gebaut werden. Reparaturfreundliche Geräteentwicklung mit Austauschbarkeit/Reparierbarkeit aller Komponenten, Verlängerung der normalen Garantiedauer auf fünf Jahre (was bedeuten würde, dass alle Bauteile auch fünf Jahre mindestens vorgehalten werden müssen) etc. wären Schritte in diese Richtung, die in ihren Effekten über die bloße Rücknahme und Wiederverwertung schnell verschlissener Güter gerde aus dem IuK-bereich (Smartphones, Tablets, Rechner im Allgemeinen, elektronische Gadgets) weit hinausreichen würden, denn sie sparen auch Transportvorgänge (Liefern, Einsammeln) und Energie (Recycling). Eine Verdopplung der Lebendauer von Gütern würde schlicht bedeuten, dass man im selben Zeitraum nur halb so viele Güter herstellen und auch nur halb so viele Ressourcen verbrauchen würde. Eine solche Ausrichtung würde allerdings Innovationszyklen entschleunigen und das Produktionssystem und würde damit damit die Gewinnspannen der Produzenten und möglicherweise Arbeitsplätze, wobei diese allerdings auch im Reparaturbereich eingerichtet werden könnten. Verständlich, dass Fraunhofer als Auftragsforschungsinstitut hier anscheinend nichts entwickelt oder jedenfalls davon nichts zu lesen ist. Wahrscheinlich aber werden wir am Ende genau solche systemsprengenden Lösungen brauchen, um die Erde für eine auf neun Milliarden angeschwollene Menschheit bewohnbar zu halten.

Bibliographie: Bullinger, Hans Jörg/Röthlein, Brigitte: Morgenstadt. Wie wir morgen leben. Lösungen für das urbane Leben der Zukunft. Hanser-Verlag, München, 286 Seiten, gebunden, mehrfarbige Grafiken, ISBN 978-3-446-43203-1 25,80 €

"Ende der Märchenstunde" – Rezension

Mit Green IT beschäftigt sich das 2010 erschienene Buch der Münchnerin Kathrin Hartmann nicht unbedingt, doch viele Gedanken dieses Werks rund um „Greenwashing“ lassen sich wunderbar auch auf allerlei elektronischen Schnickschnack übertragen und das Kauf- beziehungsweise Verbrauchsverhalten der Konsumenten diesbezüglich.
Hartmanns These: Grüner Konsum kann es nicht richten, jedenfalls nicht alleine. Denn Hersteller produzieren immer nur einen kleinen Teil ihres Produktsortiments für den „grünen Käufer“ und richten sich ansonsten danach, wo sie am meisten verdienen können. Da aber niemals alle oder auch nur die Mehrheit der Verbraucher bereit oder in der Lage ist, Aufpreise für grüne Produkte zu bezahlen, bleiben sie immer eine Nische, die keinen signifikanten Einfluss auf den Gesamtmarkt ausübt.
Hartmann sieht den Ausweg in Normen, Gesetzen und Standards, die für jedes Unternehmen und jeden Verbraucher gelten, einerseits, in politischer Gegenwehr dort, wo sich Unternehmen verbesserungsresistent und wenig bereit zur flächendeckenden grünen Innovation zeigen, andererseits. Einkaufen jedenfalls könne nie ein Ersatz für Politik sein.
Außerdem macht Hoffmann darauf aufmerksam, dass es mit „grün“ allein nicht getan ist. Vielmehr sollte Nachhaltigkeit sich auch auf einen angemessenen Umgang mit Personal (im Sinne einer Einhaltung der Richtlinien der International Labor Organization ILO) und der gesamten vor- und nachgelagerten Produktionskette beziehen.
Das Buch ist eine Weckruf für all diejenigen, die einen Einkauf an sich schon als revolutionäre Tat begreifen und greift damit in eine sehr interessante Debatte ein: Wie stark muss Politik sein, damit ein nachhaltiger Umgang mit Naturschätzen und Menschen eine Chance hat?